Rz. 138

Der Ermittlung des für die Auslegung maßgebenden objektivierten Willens des Gesetzgebers (Rz. 135) dienen nach dem "klassischen" vierstufigen Methodenkanon die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem jeweiligen gesetzlichen Kontext (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung). Diese vier Auslegungsmethoden sind gleichwertig und können nebeneinander angewendet werden.[1]

6.2.1 Grammatikalische Auslegung

 

Rz. 139

Am Beginn jeder Auslegung steht die grammatikalische Auslegung. Mit dieser ist der Wortsinn zu ermitteln, da vom Bemühen des Gesetzgebers auszugehen ist, mit der Formulierung das auszudrücken, was er will. Der mögliche Wortsinn bildet die äußerste Grenze der Auslegung (Rz. 137).

6.2.2 Systematische Auslegung

 

Rz. 140

Die Stellung der auszulegenden Vorschrift im engeren und weiteren Zusammenhang mit anderen Vorschriften ist im Rahmen der systematischen Auslegung (auch logisch-systematische Auslegung genannt) zu werten. Das gilt sowohl rein technisch – z. B. Stellung einer Regelung in einem Absatz mit einer anderen Norm oder in einem besonderen Absatz, Stellung der Vorschrift unter den allgemeinen oder unter den besonderen Vorschriften – als auch für die Ermittlung des Sinns dieser Vorschrift im Rahmen der Gesamtregelung. In diesem Rahmen sind vom Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gebrachte Rechtssätze grundsätzlich so zu interpretieren, dass sie logisch miteinander vereinbar sind.[1]

6.2.3 Teleologische Auslegung

 

Rz. 141

Durch die teleologische Auslegung ist zu ermitteln, ob das bei der Auslegung des Wortlauts und der systematischen Auslegung gefundene Ergebnis dem Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht. Maßgebend ist nicht der historische, ursprüngliche und subjektive Wille des historischen Gesetzgebers, sondern dessen objektivierter Wille.[1]

 

Rz. 142

Die teleologische Auslegung ist nicht dadurch beschränkt, dass die Steuernormen Fiskalgesetze sind.[2] Allerdings bestehen für Fiskalzwecknormen und Lenkungsnormen unterschiedliche Auslegungsgrundsätze.

Bei Fiskalzwecknormen ist der Fiskalzweck für sich allein kein tauglicher Auslegungsgesichtspunkt; hier muss für die Auslegung auf die Steuerwürdigkeitsentscheidung des Gesetzgebers abgestellt werden.[3] Für jede Einzelregelung gibt es einen eigenen Sinn und Zweck. Die Abzugsfähigkeit bestimmter Beträge im ESt-Recht (z. B. Betriebsausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen) dient gerade nicht einem möglichst hohen Fiskalertrag. Anders sieht es z. B. für die Nichtabzugsfähigkeit von Betriebsausgaben gem. § 4 Abs. 5 EStG aus, wobei jede einzelne Fallgruppe aus bestimmten, sich unterscheidenden Gründen dort genannt ist. Entscheidend ist für die Auslegung der einzelnen Norm der jeweils für sie bestehende Sinn und Zweck und nicht die Beschaffung möglichst hoher Einnahmen für den Fiskus. Bei Lenkungsnormen hat die teleologische Auslegung vom Normzweck (Lenkungszweck), d. h. der vom Gesetzgeber intendierten Gestaltungswirkung, auszugehen.[4]

[1] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 232 f. m. w. N.
[2] So aber Neumann, in Gosch, AO/FGO, § 4 AO Rz. 31.
[3] Wernsmann, in HHSp, AO/FGO, § 3 AO Rz. 90; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 278.
[4] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 283.

6.2.4 Historische Auslegung

 

Rz. 143

Der Entstehungsgeschichte kommt zur Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers erhebliches Gewicht zu.[1] Mit der historischen Auslegung kann daher unter Zugrundelegung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift der Gesetzessinn oder- zweck ermittelt werden. Dazu sind die Gesetzesmaterialien (z. B. Begründung des Gesetzesentwurfs, Ausschussniederschriften) heranzuziehen.[2]. Ein sich daraus ergebender Wille des Gesetzgebers kann allerdings keine Berücksichtigung finden, wenn der Wortlaut der Vorschrift eindeutig eine andere Aussage enthält.[3]

Der sogenannte Wille des Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann daher bei der Interpretation nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Gesetzestext einen Niederschlag gefunden hat.[4] Insbesondere reicht eine Äußerung der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten in den Gesetzesmaterialien für sich allein nicht zur Bestimmung des Normzwecks aus.[5] Auch muss der sich aus der Entstehungsgeschichte und den Materialien ergebende Wille des Gesetzgebers zzt. der Schaffung des Gesetzes hinter dem mutmaßlichen gesetzgeberischen Willen im Zeitpunkt der späteren Auslegung[6] zurücktreten. Unbeachtlich sind auch bloße Regierungs- oder Parteiinitiativen, die sich in der späteren Gesetzesfassung nicht abbilden.[7]

 

Rz. 144

Im Übrigen wird der historischen Auslegung meist nur eine unterstützende Funktion insoweit zuerkannt.[8] Dies ist jedenfalls bei der Auslegung älterer Vorschriften gerechtfertigt, weil die subjektiven Vorstellungen ...

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