1 Allgemeines

 

Rz. 1

In §§ 385390 AO sind Zuständigkeitsregelungen im Steuerstrafverfahren für die Finanzbehörde getroffen. Diese Regelungen sind grundsätzlich unabhängig von den Zuständigkeiten im Justizbereich. Für die Gerichtszuständigkeit gelten nach § 385 Abs. 1 AO i. V. m. § 1 StPO die Bestimmungen des GVG.

Für die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit sind verschiedene Ebenen zu beachten. Es ist zu unterscheiden zwischen der sachlichen, der funktionellen und der örtlichen Zuständigkeit. Während die sachliche Zuständigkeit die Frage betrifft, welcher Spruchkörper in der ersten Instanz nach Art und Schwere der angeklagten Tat zuständig ist, bezieht sich die örtliche Zuständigkeit darauf, welches Gericht des ersten Rechtszugs bei mehreren sachlich zuständigen Gerichten sich mit der Sache zu befassen hat.[1] Die funktionelle Zuständigkeit ist im Gesetz nicht ausdrücklich als solche benannt. Gemeint ist damit, welche Organisationseinheit innerhalb der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit zuständig ist. Für den Bereich der Zuständigkeit bei Steuerstraftaten betrifft dies in erster Linie die Abgrenzung zwischen einer speziellen Wirtschaftsstrafkammer beim Landgericht bzw. die Zuordnung nach dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan.[2] Darüber hinaus ergibt sich die Zuordnung eines bestimmten Verfahrens zu einem bestimmten Spruchkörper des zuständigen Gerichts aus der Geschäftsverteilung.

 

Rz. 1a

§ 391 AO trifft eine Sonderregelung nur für die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts im Steuerstrafverfahren.[3] Die funktionelle und sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts wird nach § 391 Abs. 1 S. 1 AO für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach dieser Vorschrift ausdrücklich vorausgesetzt. Die Regelung gilt nach § 410 Abs. 1 Nr. 2 AO entsprechend für das Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidigkeiten.

 

Rz. 2

Das Steuerstrafrecht ist ein Sonderrechtsgebiet, das durch seine enge Verbindung mit dem z. T. unübersichtlichen Steuerrecht besondere Fachkenntnisse erfordert. Auch im Justizbereich ist demgemäß eine Zentralisierung geboten, um bei den Richtern und Staatsanwälten bessere Sachkunde zu erreichen und damit die strafrechtliche Entscheidung qualitativ abzusichern.[4] § 391 AO bewirkt eine solche fachliche Zentralisierung im Bereich der Amtsgerichte.[5] Durch die Zuständigkeitskonzentration soll bei den zuständigen Spruchkörpern fachliche Kompetenz gebildet und dadurch die Effektivität des Steuerstrafverfahrens erhöht werden.[6] Zudem wird damit aufseiten des zuständigen Gerichts ein fachlicher Gegenpol zur ebenfalls spezialisierten Finanzbehörde geschaffen.[7]

 

Rz. 2a

Auf der Ebene der Landgerichte ermöglicht § 74c GVG ebenfalls eine fachliche Zentralisierung durch die Schaffung von Wirtschaftsstrafkammern. Diese Kammern sind nach § 74c Abs. 1 Nr. 3 GVG auch für Steuerstraftaten sachlich zuständig. Anders als beim Amtsgericht ist die Einrichtung von Wirtschaftsstrafkammern beim Landgericht obligatorisch[8], sofern nicht eine Rechtsverordnung nach Landesrecht i. S. d. § 74c Abs. 3 GVG die Zuständigkeit für mehrere Landgerichte konzentriert.

 

Rz. 3

Die Zuständigkeitsregelungen der AO und des GVG gewinnen durch Art. 101 GG besondere Bedeutung. Sie schützen den Bürger vor willkürlichen Zuständigkeitsverschiebungen im Einzelfall. Das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters wird durch die fachliche Zentralisierung im Steuerstrafverfahren nicht verletzt[9], da insoweit eine sachlich begründete, durch Gesetz geregelte Verschiebung eintritt.[10]

[1] Geilhorn, in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 1 StPO Rz. 2f.
[2] Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, Vor § 1 StPO Rz. 8.
[3] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 391 AO Rz. 1.
[4] Bahlmann, NJW 1961, 1320 m. w. N.; Klein/Jäger, AO, 16. Aufl. 2022, § 391 AO Rz. 1; Kemper, in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 396 AO Rz. 2; Hilgers-Klautzsch, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 391 AO Rz. 10; Randt, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 391 AO Rz. 3; Bülte, in HHSp, AO/FGO, § 391 AO Rz. 7.
[5] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 391 AO Rz. 1.
[7] Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 391 AO Rz. 3.
[8] Diemer, in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 74c GVG Rz. 2.
[9] Vgl. für die Vorgängervorschrift § 426 RAO, BVerfG v. 12.1.1971, 2 BvL 18/70, NJW 1971, 795.
[10] Bülte, in HHSp, AO/FGO, § 391 AO Rz. 9; Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 391 AO Rz. 4.

2 Zuständigkeit des Amtsgerichts (Abs. 1)

2.1 Örtliche Zuständigkeit (Abs. 1 S. 1)

 

Rz. 3a

§ 391 Abs 1 S. 1 AO regelt die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts bei Steuerstraftaten. Diese Regelung gilt erst nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens im Erkenntnisverfahren[1], also ab Anklageerhebung im Zwischen- und Hauptverfahren[2] bzw. ab Beantragung des Erlasses eines Strafbefehls.[3] Die Regelung über die örtliche Zuständigkeit setzt die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts nach den allgemeinen Regeln voraus.[4]

[1] Randt, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 391 AO Rz. 14; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 391 AO Rz. 8...

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