Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit von § 426 Abs. 2 Satz 1 AO. Ermächtigung der Landesregierungen zur Regelung der Zuständigkeit eines Amtsgerichts für Steuerstrafsachen

 

Leitsatz (amtlich)

§ 426 Absatz 2 Satz 1 Abgabenordnung in der Fassung des Artikel 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 10. August 1967 (BGBl I S. 877) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Normenkette

AO § 426 Abs. 2 S. 1, § 420; GG Art. 74 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 S. 2, Art. 97 Abs. 2 S. 3

 

Tatbestand

I.

1. Nach § 426 Abs. 1 Satz 1 AO in der Fassung des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung, und anderer Gesetze vom 10. August 1967 (BGBl I S. 877) ist für die Ahndung von Steuervergehen dasjenige Amtsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Landgericht seinen Sitz hat. Nach § 426 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung drei Zuständigkeit abweichend von § 426 Abs. 1 Satz 1 AO regeln, soweit dies mit Rücksicht auf die Wirtschafts- oder Verkehrsverhältnisse, den Aufbau der Verwaltungsbehörden oder andere örtliche Bedürfnisse zweckmäßig erscheint.

2 …

3 …

 

Entscheidungsgründe

II.

§ 426 Abs. 2 Satz 1 AO ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

1. …

2. a) § 426 Abs. 2 Satz 1 AO ermächtigt die Landesregierungen durch Rechtsverordnung, in Steuerstrafsachen durch Zusammenfassung mehrerer bestehender Bezirke einen neuen Amtsgerichtsbezirk zu bilden. Art. 97 Abs. 2 Satz 3 GG steht dem nicht entgegen (vgl. BVerfGE 24, 155 [166]).

b) Der Bund ist auf Grund seiner Zuständigkeit zur Regelung der Materie „Gerichtsverfassung” (Art. 74 Nr. 1 GG) befugt, die Landesregierungen durch Bundesgesetz zur Errichtung gemeinsamer Amtsgerichte in Steuerstrafsachen im Einzelfall zu ermächtigen. Die Ausführungen des Senats in seinem Beschluß vom 1. Oktober 1968 zur Verfassungsmäßigkeit des § 58 Abs. 1 GVG und des § 33 Abs. 4 JGG gelten auch hier (BVerfGE 24, 155 [166 f.]).

c) § 426 Abs. 2 Satz 1 AO genügt den Anforderungen, die Art. 80 Abs. 1 GG stellt. Die den Landesregierungen als Adressaten erteilte Ermächtigung ist nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt (BVerfGE 8, 274 [312]).

aa) Die örtliche Zuständigkeit der Strafgerichte im ersten Rechtszug richtet sich allgemein nach den §§ 7 ff. StPO. Im Hinblick hierauf gibt § 426 Abs. 2 Satz 1 AO die Möglichkeit, einem Amtsgericht für mehrere Amtsgerichtsbezirke Steuerstrafsachen zur Entscheidung zuzuweisen. Der Inhalt der Ermächtigung ist damit hinreichend bestimmt.

bb) Auch das Ausmaß der Ermächtigung ist bestimmt.

Die Ermächtigung bezieht sich auf Strafsachen, in denen nach den allgemeinen Vorschriften eine sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts besteht (§ 426 Abs. 1 Satz 1 AO, § 24 GVG). Sie betrifft nur Strafsachen wegen Steuervergehen (§ 420 AO). Der Begriff des Steuervergehens ist bestimmt.

Das vorlegende Gericht begründet die von ihm angenommene Verfassungswidrigkeit insbesondere damit, es sei nicht erkennbar, ob § 426 Abs. 2 AO auf Regelungen innerhalb eines Landgerichtsbezirks begrenzt sei oder ob die Landesregierung entgegen § 58 GVG auch in die Landgerichtsbezirke eingreifen dürfe. Solche Zweifel an dem Ausmaß der Ermächtigung sind ersichtlich nicht begründet. Das Bundesverfassungsgericht hat diese auch zu § 58 Abs. 1 GVG erörterte Frage bereits in seinem Beschluß vom 1. Oktober 1968 dahin entschieden, daß sich die Zusammenfassung auf mehrere Amtsgerichtsbezirke eines Landes erstrecken könne (BVerfGE 24, 155 [168]). Für die Auslegung des § 426 Abs. 2 Satz 1 AO ergeben sich keine anderen Gesichtspunkte. § 426 Abs. 1 Satz 1 AO konzentriert die örtliche Zuständigkeit in Steuerstrafsachen kraft Gesetzes auf das Amtsgericht am Sitz des Landgerichts. § 426 Abs. 2 Satz 1 AO ermöglicht den Landesregierungen, eine andere Konzentration vorzusehen. Nach seinem Wortlaut enthält § 426 Abs. 2 Satz 1 AO keinen Vorbehalt, daß diese von § 426 Abs. 1 Satz 1 AO abweichende Zusammenfassung mehrerer Amtsgerichtsbezirke an die vorhandenen Landgerichtsbezirke gebunden sei. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift fordern eine solche restriktive Auslegung nicht. Die Entstehungsgeschichte bestätigt diese Auffassung (vgl. Schriftlicher Bericht des Berichterstatters des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages BTDrucks. V/1941 zu § 426 AO).

cc) Auch der Zweck der Ermächtigung ist hinreichend bestimmt. Die Änderung der gesetzlich vorgesehenen Konzentration muß „mit Rücksicht auf die Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse, den Aufbau der Verwaltungsbehörden oder andere örtliche Bedürfnisse zweckmäßig” erscheinen.

Die Wirtschaftsverhältnisse entwickeln sich unabhängig von überkommenen Landgerichtsbezirken. Gerade an Wirtschaftsverhältnisse knüpfen aber vielfach Steuertatbestände an, so daß sich in wirtschaftlichen Ballungszentren auch die Steuerkriminalität zu häufen pflegt. Die im Steuerstrafverfahren beteiligten Verwaltungsbehörden brauchen sich nicht am Sitze eines Landgerichts zu befinden oder die Zuständigkeit dieser Behörden mag sich mit dem Landgerichtsbezirk nicht decken. In diesem Fall wird das Ziel der Zusammenfassung nach § 426 Abs. 1 Satz 1 AO verfehlt. Um es dennoch zu erreichen, ermächtigt § 426 Abs. 2 Satz 1 AO die Landesregierungen, die örtliche Zuständigkeit der amtsgerichtlichen Strafrechtspflege in Steuerstrafsachen abweichend zu bestimmen. Das „Programm” der Ermächtigung ist daher die Anpassung der in § 426 Abs. 1 Satz 1 AO gesetzlich vorgesehenen Konzentration örtlicher Zuständigkeiten an die von dem vorgestellten Regelfall abweichenden Verhältnisse. Dieses Programm ist in § 426 Abs. 2 Satz 1 AO hinreichend verdeutlicht. Die vom vorlegenden Gericht als zu weit gefaßt beanstandete Umschreibung „andere örtliche Bedürfnisse” ist im Einklang mit den übrigen in § 426 Abs. 2 Satz 1 AO genannten Zweckgesichtspunkten auszulegen und ist deshalb hinreichend bestimmt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1074998

BStBl II 1971, 358

BVerfGE 30, 103

BVerfGE, 103

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