3.1 Allgemeines

 

Rz. 6

Diejenige Finanzbehörde i. S. d § 390 Abs. 1 AO, die wegen der Tat zuerst ein Strafverfahren eingeleitet hat, hat gem. § 390 Abs. 2 S. 1 AO das Recht, eine andere sachlich und örtlich zuständige Finanzbehörde um Übernahme der Strafsache zu ersuchen.[1] Ein umgekehrtes Ersuchen, nach dem die örtlich und sachlich zuständige Behörde, die nicht als erste das Verfahren eingeleitet hat, die zuerst zuständige Finanzbehörde um Übernahme ersucht, ist vom Wortlaut des § 390 Abs. 2 S. 2 AO, der auf die zuerst einleitende Behörde i. S. d. Abs. 1 Bezug nimmt ("diese"), nicht erfasst. Nach § 390 Abs. 2 AO hat die ersuchte Finanzbehörde die Pflicht zur Übernahme, wenn ein Übernahmegrund gegeben ist. Die betroffenen Finanzbehörden haben ihre Entscheidungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Der primär nach § 390 Abs. 1 AO zuständigen Finanzbehörde steht nach dem Gesetzeswortlaut kein Evokationsrecht zu, d. h., sie kann die Strafsache nicht gegen den Willen einer anderen Finanzbehörde an sich ziehen. Sie hat nur die Möglichkeit, ein Übernahmeersuchen der anderen zuständigen Finanzbehörde anzuregen.

[1] Randt, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 390 AO Rz. 17 m.  w. N.; auch Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 390 AO Rz. 16.

3.2 Übernahmegrund

3.2.1 Primäre Zuständigkeit nach § 390 Abs. 1 AO

 

Rz. 7

§ 390 Abs. 1 AO räumt derjenigen Finanzbehörde, die das Strafverfahren wegen der Straftat zuerst eingeleitet hat, die Priorität ein. Dieser Finanzbehörde gebührt der Vorzug, weil davon ausgegangen werden muss, dass sie auch bereits in der Ermittlung des Sachverhalts weiter fortgeschritten ist.

 

Rz. 8

Für die Bestimmung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit nach § 390 Abs. 1 AO kommt es allein auf objektive Kriterien an. Maßgeblich ist die erste tatsächliche Maßnahme zur Strafverfolgung. Im Zweifel ist der in dem Einleitungsvermerk nach § 397 Abs. 2 AO angegebene Zeitpunkt ausschlaggebend.

Entscheidend ist der Sachverhalt der Straftat, wie er sich objektiv darstellt, nicht wie er von der einzelnen Finanzbehörde erkannt worden ist. Ob die Person des Tatbeteiligten oder deren Form der Finanzbehörde schon bekannt war, ist unerheblich.[1]

[1] Bülte, in HHSp, AO/FGO, § 390 AO Rz. 11; Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 390 AO Rz. 12; Hilgers-Klautzsch, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 390 AO Rz. 19.

3.2.2 Sachdienlichkeit (Abs. 2 S. 1)

 

Rz. 9

Die nach § 390 Abs. 1 AO bestimmte primäre sachliche und örtliche Zuständigkeit kann im Einzelfall für die Durchführung der Ermittlungen nicht sachdienlich sein. Demgemäß begründet die Regelung die Möglichkeit zur Übernahme des Verfahrens durch eine andere auch zuständige Finanzbehörde.

 

Rz. 10

Ob diese Übernahme sachdienlich ist, richtet sich nach dem derzeitigen Stand und den voraussichtlichen weiteren Möglichkeiten der Ermittlungen.[1] Dies steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde, da sich das Ermessen auf die Rechtsfolge bezieht. Vielmehr ist die Sachdienlichkeit vergleichbar mit dem unbestimmten Rechtsbegriff.[2] Eine Übernahme ist stets dann sachdienlich, wenn bei Berücksichtigung aller Umstände die ersuchte Finanzbehörde die weiteren Ermittlungen besser und leichter führen kann. Hierbei sind auch die Interessen des Beschuldigten an einer ihn den Umständen nach so gering wie möglich belastenden Verfahrensführung in Betracht zu ziehen.[3] Ist eine Übernahme demnach sachdienlich, so hat die ersuchte Behörde die Ermittlungen zu übernehmen. Ihr steht bei der Entscheidung kein Ermessen zu.

[2] Zur Abgrenzung zwischen Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff Pahlke, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 5 AO Rz. 7ff.
[3] Bülte, in HHSp, AO/FGO, § 390 AO Rz. 14.

3.3 Entscheidung über die Zuständigkeit (Abs. 2 S. 2)

 

Rz. 11

Ist die ersuchte, sachlich und örtlich zuständige Finanzbehörde[1] nicht bereit, dem Übernahmeersuchen zu entsprechen, so ist eine Entscheidung einer Aufsichtsbehörde herbeizuführen. In Zweifelsfällen soll bereits vor Abgabe eine Verständigung zwischen den beteiligten Finanzbehörden angestrebt werden.[2] Hierbei ist jedoch zu unterscheiden:

  • Ist die ersuchte Finanzbehörde für die Durchführung der Ermittlungen gem. § 390 Abs. 1 AO primär zuständig, so kann sie die Verfahrensübernahme nur ablehnen, wenn sie die Fortführung des Verfahrens durch die ersuchende Behörde für sachdienlich i. S. v. § 390 Abs. 2 S. 1 AO hält. Sie gibt die Sache, verbunden mit dem bei ihr selbst anhängigen Verfahren, der ersuchenden Finanzbehörde zurück. Diese Ablehnung ist dann als selbstständiges Übernahmeersuchen nach § 390 Abs. 2 S. 1 AO zu werten.
 

Rz. 12

  • Ist die ersuchte Finanzbehörde nicht nach § 390 Abs. 1 AO primär zuständig, so hat sie, wenn sie die Übernahme der Strafsache nicht als sachdienlich erachtet, nach § 390 Abs. 2 S. 2 AO die Zuständigkeitsfrage der Behörde, der die ersuchte Finanzbehörde untersteht, zur Entscheidung vorzulegen.
 

Rz. 13

Als zur Entscheidung nach § 390 Abs. 2 S. 2 AO berufene Behörde wird übereinstimmend[3] die nach der Organisation der Finanzverwaltung bestimmte Oberbehörde angesehen.[4] Das wäre für die Hauptzollämter und FÄ die vorgesetzte OFD bzw. das Minist...

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