3.1 Allgemeines

 

Rz. 7

Da die AO keine lückenlosen Regelungen für Steuerordnungswidrigkeiten trifft, ordnet § 377 Abs. 2 AO die ergänzende Anwendbarkeit der Vorschriften des Ersten Teils des OWiG an. Soweit sich in der AO allerdings spezielle Bestimmungen finden, müssen diese in einschlägigen Verfahren beachtet werden. Dies ist insb. im Hinblick auf die Erforderlichkeit von Leichtfertigkeit statt Fahrlässigkeit[1], die Verfolgungsverjährung[2] und die Höhe der Geldbuße[3] der Fall. Der Verweisung in § 377 Abs. 2 AO kommt – wie auch § 369 Abs. 2 AO – lediglich klarstellende Funktion zu, da die §§ 378384 AO offensichtlich keine umfassende Regelung des materiellen Steuerordnungswidrigkeitenrechts enthalten.[4]

[3] Vgl. Rz. 23.
[4] Hunsmann, in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, 109. Lfg. 10/2017, § 377 AO Rz. 1; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 377 AO Rz. 2; Heuel, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/2017, § 377 AO Rz. 1; a. A. Heersprink, in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2016, § 377 AO Rz. 21 sowie Rüping, in HHSp, AO/FGO, 246. Lfg. 02/2018, § 377 AO Rz. 19, die von einer abschließenden Regelung ausgehen.

3.2 Opportunitätsprinzip

 

Rz. 8

Im Bereich der Ordnungswidrigkeiten gilt statt des für das Strafverfahren geltenden Legalitätsprinzips des § 152 Abs. 2 StPO das in § 47 Abs. 1 OWiG niedergelegte Opportunitätsprinzip. Die Verwaltungsbehörde unterliegt nicht dem Zwang, ein Bußgeldverfahren einleiten und durchführen zu müssen, wenn der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit besteht; dies steht vielmehr in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Sie hat darüber hinaus gem. § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG auch die Möglichkeit, bereits eingeleitete Verfahren jederzeit wieder einzustellen. Die Einstellung darf jedoch – anders als bei § 153a StPO – nicht von einer Geldzahlung abhängig gemacht oder damit in Zusammenhang gebracht werden, § 47 Abs. 3 OWiG. Die jeweilige Entscheidung der Verwaltungsbehörde muss durch sachliche Erwägungen motiviert und darf nicht willkürlich sein, sie muss den Verhältnismäßigkeits- und den Gleichheitsgrundsatz ebenso beachten wie das öffentliche Interesse an der Verfolgung der Tat. Insoweit zulässige Gesichtspunkte können z. B. die Höhe des Verkürzungsbetrags, die Häufigkeit derartiger Verstöße, Personalknappheit oder ein unverhältnismäßiger Ermittlungsaufwand sein.

 

Rz. 9

Eine praxisrelevante Ausprägung hat das Opportunitätsprinzip für die Verfolgung von Steuerordnungswidrigkeiten in Nr. 104 Abs. 3 AStBV (St) 2017 gefunden. Danach kann von der Verfolgung einer Steuerordnungswidrigkeit regelmäßig abgesehen werden, wenn der verkürzte oder gefährdete Betrag insgesamt unter 5.000 EUR liegt. Gleiches gilt, wenn der insgesamt gefährdete Betrag unter 10.000 EUR liegt und der Gefährdungszeitraum 3 Monate nicht überschreitet. Nur bei besonders vorwerfbarem Verhalten des Täters soll die Bußgeld- und Strafsachenstelle von dieser – indes nicht umfassend bindenden – Regelung abweichen.

3.3 Geltungsbereich des OWiG

 

Rz. 10

Das OWiG gilt gem. § 2 OWiG für alle Ordnungswidrigkeiten nach Bundes- und nach Landesrecht. Bzgl. der zeitlichen Geltung bestimmt § 4 Abs. 1 OWiG im Einzelnen – wie der entsprechende § 2 StGB –, dass für die Verfolgung von Zuwiderhandlungen grundsätzlich das Gesetz anzuwenden ist, das z. Zt. der Tat gilt. Folglich gilt bei Gesetzesänderungen zwischen Begehung und Ahndung von Steuerordnungswidrigkeiten das aus Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG abzuleitende Rückwirkungsverbot. Danach darf erst nach der Handlung des Täters geltendes materielles Recht nicht zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden. Folglich ist das sog. Tatzeitprinzip anwendbar, nach dem das jeweilige Gesetz Anwendung findet, das zur Zeit der Tat in Kraft war. Im Hinblick auf Taten, die durch eine länger andauernde Handlung begangen werden und während deren Begehung sich die Bußgeldandrohung ändert, ist die Norm anwendbar, die bei Beendigung der Handlung gilt[1], unabhängig davon, ob sie milder oder strenger ist. Kommt es hingegen nach Beendigung der Tathandlung zu einer Gesetzesänderung, so ergibt sich aus dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, dass das spätere strengere Gesetz unberücksichtigt zu bleiben hat.

Ändert sich die Bußgeldandrohung infolge einer Gesetzesänderung nach Beendigung der Handlung, so ist gem. dem in § 4 Abs. 3 OWiG statuierten Meistbegünstigungsprinzip das mildeste Gesetz anzuwenden. Dem steht auch Art. 103 Abs. 2 GG nicht entgegen, da dessen Schutzzweck auf die rückwirkende Anwendung neuen materiellen Rechts zu Ungunsten des Täters beschränkt ist.

Bußgeldtatbestände sind im Verhältnis zu Strafnormen in jedem Fall das mildere Gesetz.[2] Dies gilt selbst, wenn die Geldbuße einen höheren Betrag vorsieht als der ehemalige Straftatbestand, da mit der Geldbuße nach h. M. kein sittliches Unwerturteil ausgesprochen wird.[3]

Gegenüber anderen Bußgeldvorschriften ist das mildeste Gesetz dasjenige, das den geringeren Höchstbetrag androht.

 

Rz. 11

Gem. § 5 OWiG gilt im Hinblick auf den räumliche...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge