Rz. 436

Bei § 371 Abs. 4 AO handelt es sich nicht um einen (Sonder-)Fall der Selbstanzeige, sondern die Norm regelt die Folgen der Abgabe einer Berichtigungserklärung nach § 153 AO. Abs. 4 ordnet dementsprechend an, dass ein Dritter, der die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen nicht oder nicht ordnungsgemäß abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt wird, sofern ein anderer die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsgemäß erstattet. Diese Regelung wird allgemein als "Fremdanzeige" bezeichnet, auch wenn dieser Begriff nur unzureichend die rechtliche Distanz zur "Selbstanzeige" ausdrückt.

 

Rz. 437

Die Fremdanzeige unterscheidet sich erstens dadurch von der Selbstanzeige, dass der die Erklärung Abgebende sich nicht strafbar gemacht hat und lediglich seine eigene, sich aus § 153 AO ergebende steuerliche Pflicht ordnungsgemäß erfüllt. Zweitens tritt die Wirkung der Fremdanzeige nicht beim Erklärenden, sondern bei einem oder mehreren Dritten ein, ohne dass zwischen diesen vorab eine Kommunikation erforderlich gewesen wäre[1] und ohne dass der begünstigte Dritte selbst aktiv werden muss. Drittens besteht diese Wirkung in einem Strafverfolgungshindernis[2] im Gegensatz zu § 371 Abs. 1 AO, der einen persönlichen Strafaufhebungsgrund regelt (vgl. Rz. 24). Folglich wirkt § 371 Abs. 4 AO ausschließlich prozessual und nicht materiellrechtlich. Viertens – und hier liegt nun einer der wenigen inhaltlichen Berührungspunkte mit der Selbstanzeige – kennt die Fremdanzeige mit der Einleitung des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens nur einen der in § 371 Abs. 2 S. 1 AO normierten Ausschlussgründe.

 

Rz. 438

Die Vorschrift ist in ihrem Wortlaut allerdings nicht eindeutig und hat bisher – trotz der mit ihr verbundenen Möglichkeiten – kaum praktische Bedeutung erlangt.[3] Anlässlich der Novellierung des § 371 AO im Jahre 2010 wurde versucht, den Abs. 4 des § 371 AO komplett aufzuheben und damit die Fremdanzeige abzuschaffen.[4] Begründet wurde dies mit der geringen Bedeutung der Norm und den damit verbundenen unerwünschten Gestaltungsmöglichkeiten für Steuerhinterzieher. Letztendlich setzte sich dieser Antrag jedoch nicht durch, sodass die Regelung 2011 und 2014 ohne Änderungen beibehalten wurde. Auch wenn der Gesetzgeber insoweit bisher nicht tätig geworden ist, besteht jedoch ein nicht von der Hand zu weisender Reformbedarf, da die mit der Fremdanzeige verbundenen Möglichkeiten im Rahmen von Hinterziehungsstrategien nicht mehr ins Gesamtkonzept des § 371 AO passen.

[1] Vgl. zur Vertretung bei der Abgabe von Selbstanzeigen Rz. 53ff.
[2] OLG Stuttgart v. 31.1.1995, 1 Ws/96, wistra 1996, 191; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 371 Rz. 241; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 401; Kohler, in MüKo StGB Bd. 7, 2. Aufl., § 371 Rz. 383; Samson, wistra 1990, 245.
[3] Beckemper, in HHSp, AO/FGO, 245. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 212; Kemper, in Rolletschke/Kemper, Steuerstrafrecht, 109. Lfg. 10/17, § 371 AO Rz. 526; Samson, wistra 1990, 245; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rz. 616.
[4] BT-Drs. 17/2823, 30.

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