2.4.1 Nachentrichtung als Bedingung der Straffreiheit

 

Rz. 122

Der Eintritt der Straffreiheit setzt nach § 371 Abs. 3 AO, entsprechend dem Gedanken des "Ablasses" (Rz. 2), die Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten steuerlichen Schadens (§ 370 AO Rz. 76) voraus. Der staatliche Strafanspruch ist hiernach auflösend bedingt durch die fristgerechte Nachentrichtung[1]. Die "Selbstanzeigeerklärung" (Rz. 27ff.) vor Eintritt eines Ausschlussgrunds (Rz. 62) und die fristgerechte Nachentrichtung begründen die Straffreiheit. Bis zur fristgerechten Nachentrichtung besteht nur eine Anwartschaft auf Straffreiheit.

 

Rz. 123

Die hier gewählte Bezeichnung als "Nachentrichtungspflicht" ist strafprozessual nicht korrekt. Die Verpflichtung zur Nachentrichtung ist keine strafrechtliche Pflicht, sondern eine strafrechtliche Obliegenheit. Die Erfüllung kann im Strafverfahren nicht gesondert erzwungen werden, sondern es entstehen nur aus der Nichterfüllung bzw. unvollständigen Erfüllung strafrechtliche Nachteile durch den Verlust der bestehenden (Rz. 122) Anwartschaft auf Straffreiheit.

 

Rz. 124

Die Nachentrichtungspflicht i. d. S. ist keine höchstpersönliche Pflicht. Wesentlich ist nur ihre Erfüllung, nicht aber, dass der "Selbstanzeigende" die Leistung persönlich erbringt (Rz. 173).

[1] OLG Karlsruhe v. 18.4.1974, 1 Ss 8/74, NJW 1974, 1577; BayObLG v. 3.11.1989, RReg 4 StR 135/89, wistra 1990, 159, 162; BGH v. 3.6.1954, 3 StR 302/53, BGHSt 7, 336, 461; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 86; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 98.

2.4.2 Grundvoraussetzungen der Nachentrichtungspflicht gem. § 371 Abs. 3 AO

2.4.2.1 Anhängigkeit des Steuerstrafverfahrens

 

Rz. 125

Die Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) hat strafrechtlichen Charakter (Rz. 148). Die Begründung der Nachentrichtungspflicht setzt zwingend, ohne dass es im Gesetz ausdrücklich erwähnt werden musste, voraus, dass überhaupt ein Verfahren anhängig ist, in dem über die Strafbarkeit des Geschehens zu entscheiden ist[1]. Dies ist das strafrechtliche Erkenntnisverfahren (Vor §§ 385–408 AO Rz. 2). Die Wertung der Erklärung als "Selbstanzeige" strafrechtlichen Verhaltens (Rz. 5) hat regelmäßig die Einleitung des Strafverfahrens zur Folge (Rz. 11).

 

Rz. 126

Die "Selbstanzeige" bewirkt allerdings nicht, dass die Staatsanwaltschaft oder die Finanzbehörde (Rz. 12) auch dann zur Einleitung gezwungen ist, wenn von vornherein ein Einstellungsgrund zu erkennen ist (Rz. 14). In gleicher Weise muss die Verfahrenseinstellung nach Einleitung erfolgen, wenn sich ein zwingendes strafprozessuales Verfahrenshindernis, z. B. die Strafverfolgungsverjährung (§ 369 AO Rz. 85b), ergibt (Rz. 15; § 398 AO Rz. 3). Eine Entscheidung über die Strafbarkeit ist dann nicht mehr zulässig, sodass auch die Nachentrichtungspflicht nach § 371 Abs. 3 AO entfällt. Die steuerlichen Zahlungspflichten werden hierdurch nicht berührt.

[1] A. A. wohl Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 87.1.

2.4.2.2 Tatbeteiligung

 

Rz. 127

Nach § 371 Abs. 3 AO besteht die Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) "für einen an der Tat Beteiligten", gegen den das Ermittlungsverfahren geführt wird (Rz. 125), also für den Beschuldigten oder Angeklagten (Vor §§ 385–408 AO Rz. 13). Diese Formulierung hat ausschließlich insofern klarstellende Bedeutung, als die Form der Tatbeteiligung (§ 369 AO Rz. 48) für die Begründung der Nachentrichtungspflicht unerheblich ist (Rz. 29). Die Nachentrichtungspflicht besteht dem Grunde nach für den Täter in jeder strafrechtlichen Form der Täterschaft, für den Gehilfen und für den Anstifter der Steuerhinterziehung (§ 370 AO Rz. 11, 26).

Die Nachentrichtungspflicht besteht nicht für einen Tatunbeteiligten, dessen Anzeige auch nicht als "Selbstanzeige" qualifiziert werden kann (Rz. 29).

2.4.2.3 Vollendete Steuerhinterziehung

 

Rz. 128

Nach § 371 Abs. 3 AO setzt die Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) ferner voraus, dass Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt sind. Die Steuerhinterziehung muss also vollendet (§ 370 AO Rz. 150) sein[1].

Bei dem Versuch der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 2 AO (§ 370 AO Rz. 135) bewirkt allein die "Selbstanzeigeerklärung" die Straffreiheit. Da noch kein Schaden eingetreten ist, ist eine Wiedergutmachung nicht erforderlich[2].

[1] Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 100; zum Fortbestand der Nachentrichtungspflicht s. Rz. 139.
[2] Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 87; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 98.

2.4.2.4 Hinterziehung zu seinen Gunsten

 

Rz. 129

Durch § 371 Abs. 3 AO wird eine Nachentrichtungspflicht (Rz. 123) nur für den die "Selbstanzeige" erstattenden Tatbeteiligten einer vollendeten Steuerhinterziehung hinsichtlich der zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern begründet.

2.4.2.4.1 Selbstanzeigender als Steuerschuldner

 

Rz. 130

Zweifelsfrei ist derjenige Tatbeteiligte nachentrichtungspflichtig, der zu eigenem unmittelbarem steuerlichen Vorteil hinterzogen hat, dessen eigene Steuerschuld durch die Tat vermindert worden ist[1]. Hier ist der Tatbeteiligte selbst Steuerrechtssubjekt in dem durch die Tat betroffenen Steuerpflichtverhältnis (§ 33 AO Rz. 39).

[1] § 370 AO Rz. 18; Joecks, in Franzen/Gast/­Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 98; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 101; a. A. lediglich Hoyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 371 AO Rz. 53, der hier...

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