Rz. 205

Die Ausschlusswirkung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO tritt ein, wenn der Amtsträger erschienen ist, nicht erst mit Beginn der steuerlichen Prüfung.[1] Maßgeblich ist das tatsächliche Erscheinen in der Herrschaftssphäre des Beteiligten, also der reale Vorgang.[2] Damit der Prüfer vor Ort erschienen ist muss er mithin am Ort der beabsichtigten Prüfung körperlich eingetroffen sein.[3] Er muss somit bildlich gesprochen bereits auf der Fußmatte vor der Tür des Betroffenen stehen. Teilweise wird es auch als ausreichend angesehen, wenn der Amtsträger zwar noch nicht am Ort der Prüfung eingetroffen ist, aber bereits in das Blickfeld des Stpfl. getreten ist.[4] Diese weite Auslegung des Ausschlussgrundes ist zwar mit dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO durchaus vereinbar und entspricht auch der grundsätzlich weiten Auslegung der Ausschlussgründe (vgl. Rz. 166f.), sie dürfte aber aufgrund der damit verbundenen Unsicherheiten – z. B. im Hinblick auf die optische Wahrnehmbarkeit am konkreten Prüfungsort und die Frage, ob auf einen objektivierten oder den konkreten Betrachter abzustellen ist – abzulehnen sein.[5]

 

Rz. 206

Durch die Ankündigung des Erscheinens wird, sofern diese nicht mit der Folge des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO in der Form einer Prüfungsanordnung geschieht, die Straffreiheit also nicht ausgeschlossen.[6] Dies gilt selbst dann, wenn der Amtsträger zur Absprache eines Prüfungstermins erscheint, um eine Selbstanzeige zu provozieren.

 

Rz. 207

Die Ausschlusswirkung tritt auch ein, wenn eine Ankündigung des Erscheinens fehlt. Überraschendes Erscheinen hindert also nicht den Eintritt der Ausschlusswirkung.[7]

 

Rz. 208

Der Versuch, den Herrschaftsbereich zu betreten, also z. B. das Erscheinen am Eingangstor des Betriebs- oder Wohngrundstücks bzw. an der Wohnungstür mit Prüfungsabsicht, ist ausreichend. Verhindert der Beteiligte den Zutritt zum Prüfungsort, z. B. durch Nichtöffnen der Eingangstür, indem er sich verleugnen lässt oder ist er in den Prüfungsräumen nicht anwesend, so ist der Amtsträger gleichwohl erschienen.[8] Die Pflicht zur Zutrittsgewährung besteht für den Beteiligten allerdings nur im Rahmen der allgemeinen üblichen Geschäftszeiten. Eine Verweigerung des Zutritts bei Erscheinen außerhalb dieser Zeiten, z. B. an Sonn- oder gesetzlichen Feiertagen, kann nicht die Ausschlusswirkung herbeiführen. Die Verweigerung des berechtigten Zutritts ist von den Strafverfolgungsorganen zu beweisen.

 

Rz. 209

Das Erscheinen erfordert nicht, dass dieses dem Beteiligten unmittelbar oder mittelbar zur Kenntnis gelangt.[9] Der Amtsträger braucht nicht in das "Blickfeld" des Beteiligten zu treten[10], auch die Anwesenheit des Beteiligten ist nicht erforderlich. Allein das objektive Erscheinen des Amtsträgers ist maßgeblich. Folglich ist es auch unerheblich, ob der Außenprüfer angemeldet oder unvermutet erscheint.[11]

 
Praxis-Beispiel

Der Stpfl. S ist auf dem Weg zum FA, um dort persönlich seine Selbstanzeige abzugeben. Bevor er das FA erreicht, erscheint überraschend der Betriebsprüfer B bei ihm zu Hause und trifft dort auf die Ehefrau des M.

Da der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO im Gegensatz zu den Nr. 1b und 2 keine Kenntnis bzgl. des Eingreifens der Ausschlusswirkung voraussetzt, ist in diesem Fall die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige durch das Erscheinen des Außenprüfers ausgeschlossen. Die verunglückte Selbstanzeige des S wird jedoch – sofern sie ansonsten zutreffend ist – in erheblichem Maße strafmildernd wirken (vgl. Rz. 386).

 

Rz. 210

Die Ausschlusswirkung wird dadurch begründet, dass der Amtsträger in Erscheinung tritt. Dies ist ein einmaliger zeitlich zu fixierender Vorgang. Die weitere Gestaltung der Ermittlungshandlung ist unerheblich. Die Ausschlusswirkung ist also unabhängig von der weiteren Anwesenheit des Amtsträgers. Unterbrechungen oder Verschiebungen der Ermittlungshandlungen nach Erscheinen haben keinen Einfluss auf den Ausschlussgrund.[12]

 

Rz. 211

Die Vorschrift versagt jedoch als klares Abgrenzungskriterium, wenn z. B. bei einer anhängigen Prüfung eine Prüfungserweiterung oder eine Anschlussprüfung angeordnet wird, der Prüfer also schon anwesend ist. Hier tritt der Ausschluss der Straffreiheit hinsichtlich der von der erweiterten Prüfungsanordnung erfassten Steuerarten und Zeiträume nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO erst mit der Bekanntgabe der die Erweiterung regelnden schriftlichen Prüfungsanordnung oder in dem Zeitpunkt ein, in dem der Amtsträger zur steuerlichen Prüfung die Erweiterung der Prüfungsanordnung in Schriftform bei sich führend die Räume des Stpfl. zum Zweck der Prüfung der dort genannten Steuerarten und Zeiträume betritt.[13]

[1] OLG Stuttgart v. 24.10.1988, 3 Ss 21/89, MDR 1989, 1017.
[2] BFH v. 19.6.2007, VIII R 99/04, DStR 2007, 2158; FG München v. 1.12.1992, 13 K 2437/91, EFG 1993, 449; Beckemper, in HHSp, AO/FGO, 245. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 150 f.; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 226; Schauf, in Kohlm...

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