Rz. 69

Nach allg. Ansicht setzt die Selbstanzeige ein aktives Tun voraus. Gem. § 371 Abs. 1 AO in der ab dem 1.1.2015 geltenden Form besteht die Selbstanzeigehandlung darin, zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart der letzten 10 Kalenderjahre, in vollem Umfang die unrichtigen oder unvollständigen Angaben bei der Finanzbehörde zu berichtigen oder zu ergänzen oder die unterlassenen Angaben nachzuholen. Dem Wortlaut entsprechend bildet die Selbstanzeige somit im Wesentlichen das Spiegelbild zum Straftatbestand der Steuerhinterziehung in Form einer verspäteten Erfüllung der ursprünglich bestehenden Mitwirkungspflichten.

Obwohl sich § 371 AO in erster Linie auf eine vorausgegangene Verletzung von Steuererklärungspflichten nach den §§ 149ff. AO (ggf. i. V. m. den verschiedenen Einzelsteuergesetzen) bezieht, darf aber nicht übersehen werden, dass die Norm darüber hinaus auch Fälle erfasst, in denen falsche Angaben außerhalb des Festsetzungsverfahrens zu einer durch § 370 AO strafbewehrten Steuerhinterziehung führen.[1]

 

Rz. 70

Durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014[2] geht der Gesetzgeber jedoch über diese Spiegelbildlichkeit hinaus und fordert in Form einer "überschießenden Pflichtentendenz"[3] erstmals eine über den Umfang des strafbaren Verhaltens (deutlich) hinausgehende Korrektur. Dies ergibt sich daraus, dass der Regierungsentwurf an der fünfjährigen Verjährungsfrist für eine "normale" Steuerhinterziehung festhält, statt wie im ursprünglichen Referentenentwurf des BMF[4] vorgesehen die Verjährungsfrist für Steuerhinterziehungen in § 376 Abs. 1 AO generell auf 10 Jahre zu verlängern. Über die Schaffung eines neuen erweiterten Berichtigungsverbundes, der gem. § 371 Abs. 1 S. 2 AO (unabhängig von der Strafbefangenheit) den Zehn-Jahreszeitraum erfasst, wird faktisch weitgehend das gleiche Ergebnis erreicht wie durch eine Verlängerung der Verjährung gem. § 376 Abs. 1 AO auf 10 Jahre – der Stpfl. muss auch für die Fälle der einfachen Steuerhinterziehung für 10 Jahre rückwirkend die hinterzogene Steuer nacherklären.[5]

 

Rz. 70a

Einen Schritt weiter ging der Gesetzgeber – allerdings nur im Hinblick auf die strafrechtlich noch nicht verjährten Taten i. S. d. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1-6 AO – indem er die Verjährungsfrist für diese Delikte mit dem JStG 2020 auf fünfzehn Jahre verlängerte (vgl. Rz. 109).

 

Rz. 71

Die drei Anzeigevarianten des § 371 Abs. 1 S. 1 AO "zu berichtigen, zu ergänzen oder die unterlassenen Angaben nachzuholen" werden in Lit. und Rspr. sprachlich i. d. R. zutreffend unter dem Terminus Berichtigung bzw. "berichtigen" zusammengefasst, sodass damit das vollständige Er- bzw. Einsetzen der zuvor unrichtigen, unvollständigen oder fehlenden Angaben durch die richtigen und vollständigen gemeint ist.[6]

[1] Vgl. z. B. § 370 AO Rz. 107 für die Erlangung eines Erhebungsverzichts oder einer Erhebungsverzögerung, Rz. 108 für die Verhinderung oder Beeinträchtigung der Beitreibung; ebenso Kohler, in MüKo StGB Bd. 7, 2. Aufl., § 371 AO Rz. 47.
[2] BGBl I 2014, 2415.
[3] Zutreffend Kohler, in MüKo StGB Bd. 7, 2. Aufl., § 371 AO Rz. 48.
[4] Vgl. dazu auch Pitterle, BT-Plenarprotokoll 18/63 v. 6.11.2014, 5800 A sowie Heinold, BR-Plenarprotokoll 927 v. 7.11.2014, 352 C.
[5] So schon die Begründung des Referentenentwurfes des BMF zu Nr. 5; vgl. dazu auch Joecks, DStR 2014, 2261, 2262 sowie die Pressemitteilung der Finanzministerkonferenz v. 9.5.2014 unter www.fm.nrw.de.
[6] BGH v. 24.9.1954, 2 StR 683/53, BStBl I 1954, 528; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 56; Kohler, in MüKo StGB Bd. 7, 2. Aufl., § 371 AO Rz. 49; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 79.

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