2.4.1 Allgemeines

 

Rz. 43

Durch die Feststellung, dass ein Verhalten den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt und rechtswidrig ist, ergibt sich das objektive Unwerturteil der Rechtsordnung über die Tat. Dies allein reicht jedoch für die Ahndung einer Tat im deutschen Strafrecht nicht aus, da der Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" (nulla poena sine culpa) zu beachten ist. Dieses sog. Schuldprinzip findet seine verfassungsrechtliche Grundlage sowohl in der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen[1] als auch im Rechtsstaatsprinzip.[2] Notwendige Voraussetzung für die Ahndung ist danach ein "Dafürkönnen" des Täters, dem vorgeworfen wird, dass er sich auf die Seite des Unrechts gestellt und insoweit gegen das Recht entschieden hat, obwohl er sich den Anforderungen der Rechtsordnung entsprechend hätte verhalten können. Es muss also die persönliche Verantwortung, d. h. die Schuld des Tatbeteiligten, festgestellt werden, um ihm sein Verhalten persönlich zurechnen zu können. Das Maß der persönlichen Schuld ist Grundlage der Strafzumessung (s. Rz. 161ff.).

 

Rz. 44

Nach dem von der Rspr. und der h. M. vertretenen normativen Schuldbegriff[3] kommt der umfangreich diskutierten Frage, ob der Mensch in seinem Handeln determiniert ist, insoweit keine Bedeutung zu. Der normative (= wertende) Schuldbegriff stellt maßgeblich darauf ab, dass wir uns im Normalfall als frei handelnde Menschen erleben, einvernehmlich unsere gesellschaftlichen Strukturen und unser gesellschaftliches Zusammenleben daran ausrichten und folglich auch daran anknüpfende gesellschaftliche Sanktionen als legitime Reaktionen empfinden.

 

Rz. 45

Die Schuldfeststellung setzt nach dem normativen Schuldbegriff voraus:

  • Die Schuldfähigkeit des Tatbeteiligten (s. Rz. 46),
  • das Unrechtsbewusstsein (s. Rz. 47) sowie
  • das Nichtvorliegen eines gesetzlichen Entschuldigungsgrunds (s. Rz. 48).

Allgemein lässt sich aber feststellen, dass der Schuldvorwurf bei der Prüfung der Strafbarkeit eines Verhaltens keiner positiven Begründung bedarf. Vielmehr ergeben sich aus den Strafgesetzen lediglich die Bedingungen, unter denen die Verwirklichung des Unrechts nicht als schuldhaft anzusehen ist. Die Strafgesetze treffen somit keine Regelung, was strafrechtliche relevante Schuld ist, sondern regeln nur, wann kein schuldhaftes Handeln gegeben ist. Der Schuld kommt in steuerstrafrechtlichen Verfahren i. d. R. eine ausgesprochen geringe Bedeutung zu.[4]

[3] Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, Vor § 13 StGB Rz. 47a m. w. N.
[4] Vgl. zu einer Ausnahme: BGH v. 7.2.2019, 1 StR 485/18, wistra 2019, 465, in dem der BGH aufgrund Legasthenie, Einschränkungen der Merkfähigkeit sowie einer Intelligenzminderung von mittlerer bis schwerer Ausprägung in der Person des Täters darauf hinweist, dass sowohl das Merkmal des Schwachsinns als auch dasjenige der krankhaften seelischen Störung i. S. d. § 20 StGB erfüllt sein und deshalb eine erhebliche Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden könne.

2.4.2 Schuldfähigkeit

 

Rz. 46

Voraussetzung eines jeden Schuldvorwurfs ist die Fähigkeit des Tatbeteiligten, sich überhaupt normgerecht zu verhalten, also die "Zurechnungsfähigkeit". Hier ist nach dem Lebensalter des jeweiligen Tatbeteiligten zu differenzieren:

  • Bei Kindern (zur Tatzeit noch nicht 14 Jahre alt) wird – unabhängig von ihrem tatsächlichen Reifegrad – die Schuldunfähigkeit unwiderleglich vermutet[1].
  • Jugendliche[2] sind strafrechtlich nur verantwortlich, wenn sie zzt. der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.[3]
  • Bei Heranwachsenden[4] und bei Erwachsenen (Personen, die das 21. Lebensjahr vollendet haben) ist grundsätzlich von der Schuldfähigkeit auszugehen. Ausnahmsweise ist jedoch gem. § 20 StGB ein Tatbeteiligter als schuldunfähig anzusehen, der bei der Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tief greifenden Bewusstseinsstörung, wegen Schwachsinns oder wegen einer schweren anderen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

    Es ist somit in einem ersten (biologisch-psychologischen) Schritt festzustellen, ob eine der vorgenannten Störungen vorliegt. In einem zweiten, dem sog. psychologisch-normativen Prüfungsschritt ist zu klären, ob die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der Tat oder die Steuerungsfähigkeit des Täters infolge der Störung nicht mehr gegeben waren.

[2] Zur Tatzeit mindestens 14, aber noch nicht 18 Jahre alt – § 10 StGB i. V. m. § 1 Abs. 2 JGG.
[4] Zur Tatzeit mindestens 18, aber noch nicht 21 Jahre alt – § 10 StGB i. V. m. § 1 Abs. 2 JGG.

2.4.3 Unrechtsbewusstsein

 

Rz. 47

Die Vorwerfbarkeit der Tat erfordert notwendig beim Tatbeteiligten das Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens.[1] Der Tatbeteiligte muss den spezifischen Unrechtsgehalt des Delikts erkennen und wissen, dass er sich mit seinem Verhalten in Widerspruch zur gesetz...

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