Rz. 35

Der Steuerbegriff des § 3 Abs. 1 AO verlangt, dass die Geldleistungspflicht "allen" auferlegt ist, "bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft". Diese Erfordernisse gleichmäßiger und tatbestandsmäßiger Besteuerung sind indes nicht nur Merkmale des einfachgesetzlichen Steuerbegriffs, sondern unter der Geltung des GG auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 GG auch elementare Bestandteile eines dem Rechtsstaatsprinzip und den Freiheitsverbürgungen der Grundrechte verpflichteten Steuerstaats.

3.1 Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) der Besteuerung

 

Rz. 36

In der von § 3 Abs. 1 AO vorausgesetzten Auferlegung der Geldleistung gegenüber allen, bei denen der gesetzliche Tatbestand der Leistungspflicht erfüllt ist, findet der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) der Besteuerung Ausdruck.

 

Rz. 37

Dieser aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip[1] abzuleitende Grundsatz[2] bedeutet zum einen, dass nur ein in einem formellen Gesetz festgelegter Tatbestand zu einer steuerlichen Leistungspflicht führt. Nach dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vorbehalt des Gesetzes muss der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und darf sie nicht anderen Normgebern überlassen.[3] Eine "vage Generalklausel", die den Steuereingriff völlig dem Ermessen der Exekutive überlässt, ist mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unvereinbar.[4] Das Steuerrecht wird mithin von der Idee der "primären Entscheidung des Gesetzgebers über die Steuerwürdigkeit bestimmter generell bezeichneter Sachverhalte" getragen; es lebt "aus dem Dictum des Gesetzgebers".[5] Ohne Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestands kann daher keine Leistungspflicht entstehen. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) der Besteuerung besagt zum anderen, dass diese steuerliche Leistungspflicht auch von der Finanzverwaltung zu realisieren ist. Zum Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit vgl. Rz. 60ff.

Ein Ermessensspielraum besteht in beiden Richtungen nicht. Uneigentliche Ausnahmen bilden hier nur die im Gesetz vorgesehenen Billigkeitsmaßnahmen gem. §§ 163, 222, 227 AO, da für deren Anwendung wiederum der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit gilt.

3.1.1 Erfordernis eines förmlichen Gesetzes oder einer Satzung

 

Rz. 38

Im Steuerrecht, dessen Steuerbelastungsentscheidungen und Tarifgestaltungen weitgehend vom Willen des Gesetzgebers abhängen, ist von einem strengen Gesetzesvorbehalt auszugehen.[1] Die allein ausreichende Grundlage für die Besteuerung i. S. d. Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) sind Gesetze im formellen Sinn und Satzungen.[2] Wegen des in der Besteuerung liegenden Grundrechtseingriffs gilt für die Auferlegung von Abgaben stets der Vorbehalt des Gesetzes. Soweit dem Gesetzesbegriff des § 4 AO jede Rechtsnorm genügt, kann dies nicht für das Gebot der Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) der Besteuerung gelten. Demgemäß können, obgleich "Gesetze" i. S. d. § 4 AO[3], weder Rechtsverordnungen noch Gewohnheitsrecht den Anforderungen des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts genügen. Den Anforderungen an die Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) der Besteuerung ist Rechnung getragen, wenn der Gesetzgeber durch formelles Gesetz die wesentlichen Bestandteile einer steuerlichen Belastung (Steuertatbestand, Steuerschuldner, Steuerbemessungsgrundlage und Steuertarif) regelt.[4]

 

Rz. 39

Eine Rechtsverordnung scheidet demgemäß als Rechtsgrundlage zur Festlegung von Steuertatbeständen aus.[5] Im Steuerrecht muss eine Verordnungsermächtigung selbstverständlich den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG genügen, also nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt sein. Das Maß der Bestimmtheit einer gesetzlichen Ermächtigung lässt sich nicht allgemein bestimmen, sondern hängt von der Eigenart des geregelten Sachbereichs, vom Umfang der Grundrechtsbeeinträchtigung und der Intensität der der Verwaltung eingeräumten Eingriffsbefugnisse ab.[6] Im Steuerrecht ist den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG für eine Verordnungsermächtigung genügt, wenn der steuerliche Belastungstatbestand – also Steuerschuldner, Steuergegenstand, Bemessungsgrundlage und Steuersatz – im Parlamentsgesetz festgelegt ist.[7] Nur auf dieser Grundlage können die steuerlichen Verordnungsermächtigungen[8] und die darauf gestützten Verordnungen[9] weitere Detailregelungen treffen und ggf. unvollständige oder missverständliche gesetzliche Tatbestandsmerkmale ausfüllen.[10]

 

Rz. 40

Steuertatbestände können auch durch autonome Steuersatzungen der juristischen Personen des öffe...

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