1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist Ausfluss des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, dass die Vollstreckung nur in das Vermögen des Vollstreckungsschuldners[1] erfolgen darf. Damit entspricht sie in der Zielrichtung § 771 ZPO,[2] der die entsprechende Bestimmung für das zivilprozessuale Vollstreckungsrecht darstellt. Auch ist sie inhaltlich weitgehend mit § 771 ZPO identisch.[3] Die Vorgängerbestimmung zu Zeiten der Geltung der RAO war § 328 RAO[4]. Ergänzende Verwaltungsanweisungen zur Berücksichtigung der Rechte Dritter finden sich vor allem in Abschn. 13 VollstrA.[5]

 

Rz. 2

Die Vorschrift gibt einem Dritten die Möglichkeit, seine (die Veräußerung hindernden) Rechte zivilrechtlich durch Klage und durch Beantragung vorläufiger Maßnahmen geltend zu machen. § 262 AO geht dabei in allen seinen Teilregelungen von einem zivilrechtlichen Verhältnis zwischen dem Dritten und der Finanzbehörde aus, indem die Vorschrift die Einwendungen nach der ZPO[6], die Einstellung der Vollstreckung und die Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen[7] sowie die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte vorsieht.[8] Dies ist bereits deswegen so geregelt, weil das Verhältnis des Dritten zu der Finanzbehörde nicht Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Steuerschuldverhältnisses ist.[9]

[2] Hierzu allgemein Lackmann, in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 771 ZPO Rz. 7ff.
[3] Zu Unterschieden s. Klein/Werth, AO, 15. Aufl. 2020, § 262 Rz. 1f.
[4] Zur Rechtshistorie vgl. Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 262 AO Rz. 1.
[5] BStBl I 1980, 112, zuletzt geändert am 23.10.20171, BStBl I 2017, 1374.
[6] § 262 Abs. 1 S. 1AO.
[9] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 262 AO Rz. 3f.

2 Zweck der Vorschrift

 

Rz. 3

§ 262 AO bezweckt den Schutz Dritter, die durch die steuerliche Zwangsvollstreckung zu Unrecht betroffen werden.[1] Zwar darf die Zwangsvollstreckung grundsätzlich nur in das Vermögen des Vollstreckungsschuldners erfolgen. Die Vollstreckungsbehörde kann jedoch nicht in jedem Einzelfall bei Vornahme der Vollstreckungshandlung die Zugehörigkeit des Vollstreckungsgegenstands zum Schuldnervermögen genau prüfen. Anknüpfungspunkt ist zudem insbesondere bei der Pfändung beweglicher Sachen nur der Besitz, also die tatsächliche Sachherrschaft[2] und nicht das Eigentum. Bei Forderungen und anderen Vermögensrechten wird darüber hinaus stets der "angebliche" Anspruch gepfändet.[3] Hierbei ist ein Eingriff in schuldnerfremdes Vermögen nicht immer auszuschließen. Die jeweilige Vollstreckungsmaßnahme ist deshalb gleichwohl wirksam, auch wenn der Steuerschuldner nicht Eigentümer ist, wenn der beeinträchtigte Dritte nicht im Wege des Widerspruchs seine Rechtsstellung geltend macht. Dies mag für den Betroffenen im Einzelfall misslich sein, dient aber der Verwaltungsökonomie.

[1] Müller-Eiselt, in HHSp, AO/FGO, § 262 AO Rz. 3.
[2] Vgl. etwa § 286 AO.

3 Verhältnis zu Rechtsbehelfen außerhalb des § 262 AO

3.1 § 293 AO

 

Rz. 4

§ 293 AO eröffnet – wie auch § 262 AO – einem Dritten die Möglichkeit, Rechte an einer Sache im Klageverfahren vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen, die von einem Vollstreckungsverfahren betroffen worden ist. Dabei bietet § 262 AO dem Dritten allerdings die Möglichkeit, durch eine sog. Drittwiderspruchsklage die Freigabe des Gegenstands (Sache, Forderung, sonstiges Vermögensrecht) zu verfolgen, an dem dem Dritten ein die Veräußerung hinderndes Recht zusteht. Der Gegenstand wird damit nicht verwertet. § 293 AO hat hingegen einen anderen Ansatzpunkt. So gilt diese Regelung zum einen lediglich für Sachen.[1], und zwar solche, die sich bei ihrer Pfändung nicht im Besitz des Dritten befanden und an denen dem Dritten Pfand- oder Vorzugsrechte zustehen. Zum anderen räumt § 293 AO dem Dritten keinen Anspruch auf Freigabe dieser Sache ein, sondern bietet lediglich einen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös. Dabei schließt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 262 AO die Anwendung des § 293 AO nicht aus, wenn der Dritte seine Rechte nur auf vorzugsweise Befriedigung gerichtlich geltend macht.[2] Befindet sich der Dritte nicht im Besitz der Sache, kann er seine Pfand- und Vorzugsrechte nur über § 293 AO geltend machen.[3]

[1] S. § 90 BGB; Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl. 2020, § 90 BGB Rz 1ff.
[2] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 262 AO Rz. 2.
[3] Klein/Werth, AO, 15. Aufl. 2020, § 262 Rz. 4.

3.2 Weitere Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Dritten

 

Rz. 5

Nach Verwertung des Gegenstands unter Verletzung seiner Rechte kann der Dritte u. U. zivilrechtliche Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung[1] oder Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung[2] geltend machen . Im Fall des Rechts auf abgesonderte Befriedigung nach §§ 49, 50 InsO[3] kann der Dritte geltend machen, dass der Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört . Diese Rechte sind ebenfalls vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgen.

 

Rz. 6

Durch Einspruch[4] kann der Dritte Einwendungen zudem gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung erheben. Dies stellt eine Entsprechung zu der Erinnerung nach § 766 ZPO dar.[5] ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge