1 Untersuchungsgrundsatz und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Außenprüfung

1.1 Begriffe

 

Rz. 1

Die Außenprüfung wird, wie auch jedes andere steuerliche Verfahren, vom Untersuchungsgrundsatz und vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht. § 199 Abs. 1 AO behandelt nur den Untersuchungsgrundsatz; die Vorschrift korrespondiert mit § 88 AO sowie z. T. mit § 85 AO und ist daher, streng genommen, überflüssig.[1] Allgemein zum Untersuchungsgrundsatz vgl. daher Kommentierung zu § 88 AO.

 

Rz. 1a

Im Gegensatz zum Untersuchungsgrundsatz ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der AO gesetzlich nicht normiert. Das liegt daran, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf den jeweiligen Einzelfall bezogen ist und sich daher einer abstrakten Regelung, anders als der Untersuchungsgrundsatz, weitgehend entzieht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besagt, dass der Eingriff in die Sphäre des Stpfl., seiner Dauer, Intensität sowie seiner schädigenden Wirkung nach, in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg stehen muss. Als weitere Erscheinungsform des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kann auch der "Grundsatz des geringsten Eingriffs" aufgefasst werden. Danach ist von mehreren gleichermaßen zur Erreichung des Zieles der Finanzverwaltung geeigneten Mitteln das den Stpfl. am wenigsten belastende Mittel zu wählen.

 

Rz. 1b

Untersuchungsgrundsatz und Grundsatz der Verhältismäßigkeit können im Einzelfall miteinander kollidieren. So würde es der Untersuchungsgrundsatz erfordern, jeder Unklarheit nachzugehen, während der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es erfordern kann, den Stpfl. belastende Prüfungshandlungen mit nur geringen steuerlichen Auswirkungen zu unterlassen ("Schwerpunktprüfung").

[1] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 199 AO Rz. 1.

1.2 Sachlicher Umfang der Außenprüfung (Untersuchungsgrundsatz)

 

Rz. 2

§ 199 Abs. 1 AO überschneidet sich mit der Regelung des sachlichen Umfangs in § 194 AO und hat insoweit keinen eigenständigen Regelungsbereich. Nach § 194 Abs. 1 AO sind durch die Außenprüfung die steuerlichen Verhältnisse des Stpfl. zu ermitteln.[1] Diese steuerlichen Verhältnisse können nach § 199 Abs. 1 AO tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse sein. Damit ist klargestellt, dass die Außenprüfung nicht nur tatsächliche Verhältnisse umfasst, sondern auch die rechtlichen Verhältnisse (rechtliche Beziehungen des Stpfl. zu anderen Personen oder zu Gegenständen) in die Prüfung einbezogen werden. Tatsächliche und rechtliche Verhältnisse sind aber nach § 199 Abs. 1 AO nur Prüfungsgegenstand, wenn sie für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer von Bedeutung sind. Diese Aussage ist selbstverständlich; dass Verhältnisse des Stpfl., die unter keinem möglichen Gesichtspunkt für die Besteuerung von Bedeutung sein können, nicht in die Prüfung einbezogen werden dürfen, unterliegt keinem Zweifel. Andererseits ist die Vorschrift aber nicht so zu verstehen, dass nur Verhältnisse geprüft werden können, deren Bedeutung für die Steuer feststeht. Verhältnisse des Stpfl. können auch mit dem Ziel geprüft werden, festzustellen, ob sie steuerliche Bedeutung haben.

 

Rz. 2a

§ 199 Abs. 1 AO enthält die Definition des Begriffs "Besteuerungsgrundlagen", die den Eindruck einer im Bereich der ganzen AO anwendbaren Legaldefinition erweckt. Das ist aber nicht der Fall. Es handelt sich um eine Definition, die im Rahmen der Außenprüfung, und auch für Zwecke des § 157 Abs. 2 AO, verwendbar ist, nicht aber für andere in der AO geregelten Fälle. Beispielsweise ist die Definition der Besteuerungsgrundlagen nicht im Rahmen des § 162 AO anwendbar. Diese Vorschrift bestimmt, dass "Besteuerungsgrundlagen" geschätzt werden können. Damit können aber nur Zahlenwerte gemeint sein; weder rechtliche noch tatsächliche Verhältnisse, z. B. das Eigentum an einer Sache, können geschätzt werden. Bei Anwendung des § 163 AO ist also ein engerer Begriff der Besteuerungsgrundlagen zugrunde zu legen als nach § 199 AO.[2]

 

Rz. 2b

Besteuerungsgrundlagen nach der Definition des Abs. 1 sind tatsächliche und/oder rechtliche Verhältnisse des Stpfl. (Verhältnisse zu Personen oder Sachen), die für die Steuerpflicht und/oder für die Bemessung der Steuer maßgebend sind. "Maßgebend" bedeutet dabei, dass diese Verhältnisse Einfluss auf Steuerpflicht und Bemessung (Höhe) der Steuer haben. Erfasst wird damit jede tatsächliche oder rechtliche Beziehung, die Bedeutung für das Entstehen und die Höhe der Steuer hat oder haben kann. Nicht zu den Besteuerungsgrundlagen i. d. S. gehören daher lediglich diejenigen Verhältnisse, die ohne jeden Einfluss auf Steuerpflicht und Bemessung der Steuer sind.

Die Definition der Besteuerungsgrundlagen ist in § 199 Abs. 1 AO an der falschen Stelle eingeordnet. Systematisch richtig hätte sie in § 157 Abs. 2 AO untergebracht werden müssen.[3]

 

Rz. 3

§ 199 Abs. 1 AO besagt, dass "rechtliche Verhältnisse" geprüft werden, nicht aber Rechtsfragen. Die Klärung von Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Prüfers; eine Außenprüfung wäre hierfür auch ein ungeeignetes Mittel. Der Außenprüfer stellt nur tatsächliche und rechtliche Verhältnisse fest. Die Entscheidung über die steuerrechtlichen Folgen diese...

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