Rz. 230

Die Vorschriften der § 174 AO und § 176 AO stehen selbstständig nebeneinander, der Vertrauensschutz des § 176 AO gilt daher zwar grundsätzlich auch im Rahmen des § 174 AO, doch wird er in der Praxis nicht zur Anwendung kommen, da in den typischen Fällen des § 174 AO der Tatbestand des § 176 AO nicht erfüllt ist.

 

Rz. 231

Im Rahmen des § 174 Abs. 1 AO wird die Anwendung des § 176 AO nicht in Betracht kommen, da es in diesen Fällen darum geht, den Stpfl. von einer mit einer anderen Steuerfestsetzung unvereinbaren Belastung zu befreien.

 

Rz. 232

Im Rahmen des § 174 Abs. 2 AO kann es vorkommen, dass bei der jetzt erfolgten Änderung der Steuerfestsetzung eine ungünstigere Rspr. gilt, als dies zu dem Zeitpunkt der Fall war, zu dem die Steuerfestsetzungen, die den positiven Widerstreit zugunsten des Stpfl. enthalten, ergangen sind. Nach § 174 Abs. 2 AO wird aber immer nur die unrichtige Steuerfestsetzung dadurch geändert, dass die Berücksichtigung der Besteuerungsgrundlage, die hier zu Unrecht erfolgt ist, rückgängig gemacht wird. Die andere Steuerfestsetzung wird überhaupt nicht geändert, sodass sich hier nicht die Frage stellen kann, ob die inzwischen ungünstigere Rspr. anzuwenden ist.

 
Praxis-Beispiel

Die AfA für ein Wirtschaftsgut ist bei zwei Stpfl. im selben Besteuerungszeitraum abgesetzt worden. Anschließend ändert sich die Rspr. des BFH; es ist jetzt nur noch ein niedriger AfA-Satz zulässig. Wird nun die falsche der widerstreitenden Steuerfestsetzungen geändert, bleibt die andere unberührt, sodass schon von daher eine Berücksichtigung der für den Stpfl. ungünstigeren Rspr. nicht infrage kommt.

 

Rz. 233

Im Rahmen des § 174 Abs. 3 AO kann es vorkommen, dass bei der jetzt erfolgenden Nachholung der Berücksichtigung einer Besteuerungsgrundlage eine ungünstigere Rspr. gilt, als dies zu dem Zeitpunkt der Fall war, zu dem bei richtiger Handhabung die steuerliche Berücksichtigung hätte erfolgen müssen.

 
Praxis-Beispiel

Die Finanzbehörde hat die für das Jahr 01 beantragte Teilwertabschreibung nicht zugelassen mit der Begründung, sie könne erst im Jahr 02 geltend gemacht werden. Danach, aber vor der Veranlagung 02, ändert der BFH seine Rspr. zuungunsten des Stpfl. und lässt jetzt nur eine geringere Teilwertabschreibung zu. Anschließend stellt die Finanzbehörde bei der Veranlagung 02 fest, die Teilwertabschreibung hätte doch im Jahr 01 berücksichtigt werden müssen.

In diesen Fällen ist § 176 AO nicht anzuwenden, da schon sein Tatbestand nicht vorliegt. Die bisherige günstige Rspr. (bzw. die Norm oder die Verwaltungsanweisung, deren Verfassungswidrigkeit sich herausgestellt hat) ist bei der bisherigen Steuerfestsetzung nicht angewendet worden, da der Vorgang steuerlich noch gar nicht berücksichtigt worden ist. Der Stpfl. steht daher im Ergebnis schlechter, als wenn von Anfang an die zutreffende Besteuerung durchgeführt worden wäre.

 

Rz. 234

Andererseits kann es im Rahmen des § 174 Abs. 3 AO nicht vorkommen, dass die Finanzbehörde aufgrund eines für den Stpfl. günstigen BFH-Urteils die Berücksichtigung eines Sachverhalts unterlässt und dann bei Änderung dieser Rspr. diesen Sachverhalt doch in diesem Besteuerungszeitraum berücksichtigen möchte; dann wird schon der Tatbestand des § 174 Abs. 3 AO (Hinweise der Finanzbehörde, der Sachverhalt sei in einem anderen Besteuerungszeitraum zu erfassen) nicht vorliegen.

 

Rz. 235

Bedeutung kann § 176 AO auch im Rahmen des § 174 Abs. 4 und 5 AO nicht haben. Es kann sein, dass die Finanzbehörde bei der ersten Steuerfestsetzung eine für den Stpfl. günstige Rspr. des BFH zugrunde legt, es sich dann aufgrund eines Antrags oder Rechtsbehelfs des Stpfl. herausstellt, dass dieser Sachverhalt in diesem Besteuerungszeitraum überhaupt nicht hätte berücksichtigt werden dürfen und vor Durchführung der Folgeänderung der BFH seine Rechtsprechung zulasten des Stpfl. ändert.

 
Praxis-Beispiel

Die Finanzbehörde hat einen Vorgang bei dem Stpfl. X zur ESt herangezogen und dabei gemäß der geltenden BFH-Rspr. eine für den Stpfl. günstige Bewertung zugrunde gelegt. Der Rechtsbehelf des Stpfl. hat Erfolg; danach ist diese Besteuerungsgrundlage dem Stpfl. Y, der zu dem Verfahren hinzugezogen worden war, zuzurechnen. Vor der Folgeänderung gegenüber Y hat der BFH seine Rspr. zuungunsten des Stpfl. geändert.

Auch in diesen Fällen greift § 176 AO nicht ein, weil sein Tatbestand nicht erfüllt ist; geändert bzw. erstmals erlassen wird die zweite Steuerfestsetzung (die Folgeänderung), während die für den Stpfl. günstige Rspr. nicht bei dieser Steuerfestsetzung, wie es § 176 AO voraussetzt, sondern bei einer anderen Steuerfestsetzung berücksichtigt worden war. Für dieses Ergebnis ist es ohne Bedeutung, ob es sich um eine Folgeänderung nach § 174 Abs. 4 AO oder § 174 Abs. 5 AO handelt.

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