2.1 Tatbestand

 

Rz. 8

Steuerbescheide über Verbrauchsteuern werden i. d. R., ebenso wie Zollbescheide, ohne eingehende Prüfung in einem Veranlagungsverfahren summarisch erlassen; es besteht daher ein erhöhtes Bedürfnis für nachträgliche Korrekturen sowohl zugunsten wie zuungunsten des Stpfl.[1]; das Bedürfnis nach Schutz durch die Bestandskraft tritt demgegenüber zurück. § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO lässt daher eine Durchbrechung der Bestandskraft fast uneingeschränkt zu. Besondere Tatbestandsvoraussetzungen müssen nicht vorliegen; es genügt, dass der Bescheid rechtswidrig ist, um ihn zu ändern. Einzige Grenze ist die Ermessensausübung (vgl. Rz. 36).

Der geringen Bestandskraft der Verbrauchsteuerbescheide entspricht die kurze Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 1 von einem Jahr, nach deren Ablauf auch eine Änderung oder Aufhebung nicht mehr möglich ist.[2] Der Schutz durch die Bestandskraft wird also eingeschränkt, dafür wird der Schutz durch die Festsetzungsverjährung ausgedehnt.

 

Rz. 9

§ 172 Abs. 1 Nr. 1 AO galt ursprünglich auch für den Bereich des Zollrechts (Eingangsabgaben, Ausfuhrabgaben, Abschöpfungen), wird jetzt aber überlagert durch die Vorschriften des Zollkodex.[3] In dem Zollkodex v. 9.10.2013 ist die Rücknahme begünstigender Entscheidungen in Art. 27 ZK, der Widerruf oder die Änderung begünstigender Entscheidungen in Art. 28 ZK geregelt. Dies betrifft die Änderung zulasten des Stpfl. Art. 116ff. ZK regelt die Erstattung und den Erlass von Abgaben und damit Regelungen zugunsten des Stpfl. Daneben ist § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht anwendbar. Durch Gesetz v. 20.12.2001[4] sind daher diejenigen Abgaben, für die der ZK gilt, aus dem Geltungsbereich des § 172 AO herausgenommen worden:

  • Einfuhrabgaben[5], nämlich Zölle, Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Waren und Abschöpfungen und sonstige bei der Einfuhr erhobene Abgaben im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik oder landwirtschaft­licher Sonderegelungen;
  • Ausfuhrabgaben[6], nämlich Zölle, Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Ausfuhr von Waren und Abschöpfungen und sonstige bei der Ausfuhr erhobene Abgaben im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik oder landwirtschaftlicher Sonderegelungen.

Im Ergebnis gilt § 172 AO danach nur noch für Verbrauchsteuerbescheide. Jedoch sind in Verbrauchsteuergesetzen zum Teil Sonderregelungen enthalten, die an den ZK angelehnt sind, so in §§ 19ff. EnergieStG, §§ 19ff. TabakStG.

[3] Ab 1.1.1994: Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 v. 12.10.1992, ABl. L 302 v. 19.10.1992, S. 1; ab 24.6.2008: Verordnung (EG) Nr. 450/2008 v. 23.4.2008, ABl. L 145 v. 4.6.2008, S. 1; ab 1.5.2016: Verordnung (EG) Nr. 952/2013 v. 9.10.2013, ABl. L 269 v. 10.10.2013, S. 1.
[4] BStBl I 2002, 4.
[5] Art. 5 Nr. 20 ZK.
[6] Art. 5 Nr. 21 ZK.

2.2 Ermessensentscheidung bei Aufhebung oder Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen

 

Rz. 10

Im Gegensatz zu §§ 173ff. AO besteht bei rechtswidrigen Verbrauchsteuerbescheiden, die die Verbrauchsteuer zu niedrig festsetzen, keine unbedingte Pflicht der Finanzbehörde zur Korrektur. Die Änderung der Verbrauchsteuerbescheide liegt im Ermessen der Verwaltung.[1] Bei der Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass der Verbrauchsteuerbescheid unrichtig ist, also den Stpfl. begünstigt. Dies hat Auswirkungen auf die Position des Stpfl. im Wettbewerb, die bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind. Bei Durchführung der Nachfor­derung (Aufhebung und Änderung zuungunsten des Stpfl.) handelt die Verwaltung i. d. R. nicht ermessensfehlerhaft, da sie zu gesetzentsprechender Erhebung der Verbrauchsteuern, erforderlichenfalls also auch zur Nachforderung verpflichtet ist, und eine Besserbehandlung eines Stpfl. zu unberechtigten Wettbewerbsvorteilen und damit Wettbewerbsverzerrungen führen kann.[2] Da die Finanzbehörde zu einer dem Gesetz entsprechenden Festsetzung und Erhebung der Verbrauchsteuer verpflichtet ist, ist eine Änderung eines Verbrauchsteuerbescheids zulasten des Stpfl. i. d. R. nicht ermessensfehlerhaft. Dadurch wird verhindert, dass die Wettbewerbsposition des Stpfl. gegenüber Wettbewerbern durch den Fehler der Finanzbehörde verbessert wird.

Ein Ermessensfehler kann nur bei besonderen Umständen wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben vorliegen; es genügt nicht, dass sich der Stpfl. auf die ursprüngliche Verbrauchsteuerberechnung verlassen und entsprechend kalkuliert hat.[3] Ermessensfehlerhaft ist eine Änderung zulasten des Stpfl. danach nur, wenn der Stpfl. seine Verpflichtungen aus dem Verbrauchsteuergesetz erfüllt hat, also keinen Anlass für den Fehler der Finanzbehörde gegeben hat, und er aufgrund der besonderen Umstände, z. B. der Aussagen der Finanzbehörde, sich darauf verlassen konnte, dass die Festsetzung der Verbrauchsteuer materiell richtig ist. Keinesfalls ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt bei einer Nachforderung vor, wenn der Stpfl. eine unrichtige Steuererklärung (Steueranmeldung) abgegeben hat.[4]

Es liegt auch nicht allein deshalb ein Ermessensfehler vor, weil der Steuerbescheid durch eine Einspruchsentscheidung b...

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