Rz. 57

Ob von der Möglichkeit des § 165 AO Gebrauch gemacht wird, liegt, mit Ausnahme der Tatbestände des Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2, im Ermessen der Finanzbehörde.[1] Sie kann die Ungewissheit durch eigene Ermittlungen bzw. Auslegung des Gesetzes beseitigen und den Stpfl. damit auf das Einspruchsverfahren verweisen. Sie kann stattdessen auch nach § 165 AO vorgehen. Gerichtlich kann die Entscheidung nur auf Ermessensfehler überprüft werden, also darauf, ob die Grenzen des Ermessens überschritten worden sind (Ermessensüberschreitung), ob von dem Ermessen in einer seinem Zweck nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (Ermessensfehlgebrauch) oder ob ein dem FA zustehendes Ermessen nicht ausgeübt wurde (Ermessensunterschreitung). In den Fällen des Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 kann die Verwaltung die zu erwartende rückwirkende Rechtsänderung noch nicht berücksichtigen. Hier wäre es i. d. R. ermessensfehlerhaft, die Steuerfestsetzung nicht vorläufig vorzunehmen bzw. nicht auszusetzen, sodass eine Ermessensreduzierung auf Null eintritt.[2]

 

Rz. 58

Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 165 AO vor, kann die Steuer hinsichtlich derjenigen Sachverhalte, bei denen die Ungewissheit besteht, vorläufig festgesetzt werden. Diese vorläufige Festsetzung kann in zweierlei Form erfolgen. Die Steuerfestsetzung kann die Steuer auf die Sachverhalte, derentwegen Ungewissheit besteht, in die Festsetzung einbeziehen. Es wird dann insoweit eine Steuer festgesetzt, deren Entstehen ungewiss ist. Bei Wegfall der Ungewissheit werden diese Sachverhalte, wenn erforderlich, aus der Steuerfestsetzung durch Änderung des Steuerbescheids nach § 165 Abs. 2 AO ausgeschieden oder, wenn die vorläufige Steuerfestsetzung der Rechtslage nach Wegfall der Ungewissheit entspricht, die Vorläufigkeit aufgehoben.[3] Möglich ist aber auch, die Steuerfestsetzung hinsichtlich der Sachverhalte, bei denen Ungewissheit besteht, nicht in die Steuerfestsetzung einzubeziehen. Es handelt sich dann insoweit um eine vorläufige teilweise Freistellung nach § 155 Abs. 1 S. 3 AO i. V. m. § 165 Abs. 1 S. 4 AO. Diese Sachverhalte werden dann bei der Steuerfestsetzung nicht berücksichtigt. Bei Wegfall der Ungewissheit werden diese Sachverhalte, wenn erforderlich, durch Änderung des Steuerbescheids nach § 165 Abs. 2 AO in die Steuerfestsetzung einbezogen oder es wird, wenn sie sich als nicht steuerbar oder nicht steuerpflichtig erweisen, der Vorbehalt aufgehoben. Schließlich sieht § 165 Abs. 1 S. 4 AO die Aussetzung der ganzen Steuerfestsetzung vor, wenn die Ungewissheit die Steuerbarkeit als solche bei einer bestimmten Person erfasst (z. B. bei der Frage, wer Erbe geworden ist). Hierbei handelt es sich um einen vorläufigen vollen Freistellungsbescheid i. S. d. § 155 Abs. 1 S. 3 AO.[4]

 

Rz. 59

Von welcher der 3 Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, liegt im Ermessen der Finanzbehörde. In den Fällen des Abs. 1 S. 1 hat sie diejenige Möglichkeit zu wählen, die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der Interessen des Stpfl., aber auch hinsichtlich des Interesses des Staates an einem stetigen Steueraufkommen die geeignetste Lösung für die Übergangszeit bis zur Beseitigung der Ungewissheit darstellt. Im Rahmen der Ermessensentscheidung hat die Finanzverwaltung zu berücksichtigen, dass es problematisch sein kann, einen Stpfl. zu belasten, solange nicht feststeht, dass die Steuer entstanden ist. Im Rahmen der Ermessensentscheidung kann aber auch berücksichtigt werden, dass in diesem Fall dem Stpfl. u. U. Zinsvorteile zugute kommen oder dass die spätere Steuererhebung gefährdet sein kann; Sicherheitsleistung ist nur bei der vollständigen Aussetzung der Steuerfestsetzung vorgesehen. Die Finanzverwaltung ist daher nicht verpflichtet, die Steuerfestsetzung immer unter Zugrundelegung der Ansicht des Stpfl. vorzunehmen und die fraglichen, den Stpfl. belastende Sachverhalte aus der Steuerfestsetzung auszuscheiden. Es kann daher im Einzelfall ermessensfehlerfrei sein, die Steuer unter Einbeziehung der ungewissen Sachverhalte festzusetzen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist auch zu berücksichtigen, wie wahrscheinlich das Entstehen der Steuer ist. Zu berücksichtigen ist auch, wer die objektive Beweislast, d. h. den Nachteil der Ungewissheit, zu tragen hat. So ist es i. d. R. ermessensfehlerfrei, wenn die Finanzbehörde ungewisse steuermindernde Umstände, für die der Stpfl. die objektive Beweislast trägt, bei der vorläufigen Steuerfestsetzung nicht berücksichtigt. Umgekehrt müssen besondere Gründe vorliegen, wenn die Finanzbehörde einen steuerbegründenden ungewissen Sachverhalt, für den die objektive Beweislast bei ihr liegt, bereits in der vorläufigen Steuerfestsetzung berücksichtigt.

 

Rz. 60

In den Fällen des Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 wird die Steuer regelmäßig entsprechend dem (noch) geltenden Recht vorläufig festzusetzen sein. Es ist regelmäßig nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Finanzbehörde bei der vorläufigen Steuerfestsetzung die zukünftige rückwirkende Änderung der Rechtsla...

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