Rz. 76

Ob ("Entscheidungsermessen") und in welcher Höhe ("Auswahlermessen") ein VZ festgesetzt wird, liegt nach der Grundregel des § 152 Abs. 1 AO, die allerdings in der aktuellen Gesetzesfassung eher die Ausnahme ist[1], im Ermessen der Finanzbehörde.[2] Diese hat hierbei auf beiden Stufen der Ermessensausübung die allgemeinen behördlichen Ermessensregelungen zu beachten.[3] Für die Ausübung des Ermessens gelten die typische Ermessenskriterien, auch wenn diese nicht mehr wie in der Altfassung des Gesetzes in § 152 AO explizit benannt werden. Die Finanzbehörde hat bei der Einzelfallentscheidung alle Kriterien zu berücksichtigen.[4] Die Beurteilungskriterien sind sämtlich gegeneinander abzuwägen.[5] Ohne diese umfassende Abwägung ist die VZ-Festsetzung i. d. R. ermessensfehlerhaft.[6]

 

Rz. 77

Die Ermessenskriterien des § 152 AO sind grundsätzlich gleichwertig.[7] Auch wenn nach den Umständen des Einzelfalls ein Merkmal stärker als ein anderes hervortreten kann, hat keines eine Vorzugsstellung.[8] Dies bedeutet indes nicht, dass stets sämtliche Kriterien vorliegen müssen. Das Fehlen eines oder mehrerer Merkmale hat nicht zur Folge, dass ein VZ nicht festgesetzt werden darf. Das Fehlen muss nur im Rahmen der Entscheidung bedacht und dargestellt werden.[9]

 

Rz. 78

Die Finanzbehörde ist durch die verschiedenen Ermessenskriterien zu einer differenzierten Behandlung der jeweiligen Fälle gezwungen. Aus der Gleichwertigkeit der Merkmale (s. Rz. 77) folgt, dass eine VZ-Festsetzung auch schon bei einer erstmaligen Pflichtverletzung erfolgen kann[10], wie umgekehrt ständige Nachlässigkeit nicht zwangsläufig einen und stets den höchsten VZ zur Folge haben muss. Hieraus folgt auch, dass die erste VZ-Festsetzung nicht auf einen Betrag bis zu 100 EUR beschränkt ist[11], sondern bis zum Höchstbetrag reichen kann.

 

Rz. 79

Die Grenzen der Ermessensausübung werden letztlich durch den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das daraus resultierende Übermaßverbot gezogen. Letzteres findet seinen Ausdruck in den Höchstgrenzen. In diesem gesetzlichen Rahmen kann die Finanzbehörde, bezogen auf die Situation im Einzelfall, ihre Entscheidung treffen.

[1] Vgl. Anmerkungen zu § 152 Abs. 2 AO n. F.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 152 AO Rz. 22ff.
[3] Vgl. z. B. für die frühere sog. Abgabeschonfrist bei Steueranmeldungen BFH v. 23.7.1998, V R 40/96, BFH/NV 1998, 1457; BFH v. 4.7.2002, V R 31/01, BStBl II 2003, 45; zur Ermessensbindung durch Richtlinien allgemein s. FG des Saarlandes v. 7.5.2002, 1 K 74/02, EFG 2002, 951; FG München v. 17.9.2002, 13 K 1925/01, n. v.
[5] BFH v. 15.6.1983, I R 76/82, BStBl II 1983, 672; BFH v. 30.4.1987, VI R 48/84, BStBl II 1988, 170; FG des Saarlandes v. 25.9.2002, 1 K 364/99, n. v., Haufe-Index HI854528; a. A. Hessisches FG v. 7.11.2002, 7 K 1596/02, INF 2003, 401.
[7] FG München v. 21.7.2003, 13 K 4589/02, n. v., Haufe-Index HI959549.
[9] BFH v. 26.4.1989, I R 10/85, BStBl II 1989, 693; BFH v. 10.4.1977, II B 120/96, BFH/NV 1997, 731 für einen Höchstbetrags-VZ, obgleich ein Zinsvorteil fehlt; FG München v. 21.7.2003, 13 K 4589/02, n. v.: kein bestehender Zahlungsanspruch; BFH v. 8.9.2003, V B 38/02, n. v. für die Höhe der Abschlusszahlung.

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