Rz. 4

Ein Amtshilfeersuchen darf die Finanzbehörde grundsätzlich nur dann stellen, wenn sie auf die Hilfe anderer Behörden angewiesen ist (Abs. 1). Dies ergibt sich bereits aus § 111 Abs. 1 AO, wonach nur die erforderliche Amtshilfe zu leisten ist. Die Behörden sind so auszustatten, dass sie – wenigstens in ihrem örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich – ihre Aufgaben selbst erfüllen können. Nur wenn sie die Tätigkeit dennoch nicht ausführen können, sind sie auf die Amtshilfe angewiesen. Abs. 1 nennt hierzu die wichtigsten Fallgruppen, in denen die Finanzbehörde eine andere Behörde um Amtshilfe ersuchen kann. Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, ist die Aufzählung der wichtigen Fallgruppen nur beispielhaft, also nicht abschließend.[1] Bei der Entscheidung darüber, ob die ersuchende Behörde Amtshilfe in Anspruch nehmen will, steht ihr ein Ermessen[2] zu.[3]

[1] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 112 AO Rz. 1.
[3] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 112 AO Rz. 19; Koenig/Zöllner, AO, 4. Aufl. 2021, § 112 Rz. 3.

2.1 Rechtliches Unvermögen der Finanzbehörde (Nr. 1)

 

Rz. 5

Die Fälle, in denen eine Finanzbehörde die Amtshandlung aus rechtlichen Gründen nicht selbst vornehmen kann, sind sicher nicht sehr häufig. In Betracht kommt insbesondere das Fehlen örtlicher oder sachlicher Zuständigkeit für bestimmte Ermittlungshandlungen.[1]

Dabei ist zu beachten, dass das rechtliche Unvermögen nur einen Teil des "Grundverfahrens"[2] betrifft, das im Übrigen jedoch rechtlich zulässig und möglich ist. Die Tätigkeit kann regional zulässig, in einem anderen Bundesland der ersuchenden Finanzbehörde – obwohl grundsätzlich "ein einheitlicher Verwaltungsraum" besteht[3] – rechtlich verschlossen sein (z. B. die durch eine Steuerfahndungsstelle in einem anderen Bundesland ohne Hinzuziehung der dort zuständigen Finanzbehörde durchgeführten Ermittlungshandlungen). Entsprechendes muss für den Fall der fehlenden sachlichen Zuständigkeit gelten. Entscheidend für das Bestehen eines rechtlichen Unvermögens ist, dass die eigene Vornahme der ersuchten Handlung bzw. des Teilakts durch die ersuchende Finanzbehörde rechtswidrig wäre. Rechtliche Unmöglichkeit liegt auch vor bei Ermittlungshandlungen im Ausland. In diesen Fällen richtet sich das Amtshilfeersuchen an die ausländische Behörde nach internationalen Vereinbarungen.[4]

[1] Klein/Rätke, AO, 15. Aufl. 2020, § 112 Rz. 2.
[2] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 112 AO Rz. 25.
[3] Brandis, in Tipke/Kruse , AO/FGO, § 112 AO Rz. 2.
[4] Vgl. § 117 AO.

2.2 Tatsächliches Unvermögen der Finanzbehörde (Nr. 2)

 

Rz. 6

Wenn die Finanzbehörde aus tatsächlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann, ist diese Umschreibung zu weit ausgefallen. Das gilt auch dann, wenn das Fehlen der "zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen" zur Auslegung hinzugezogen werden. Die Vorschrift lässt für den Fall keine Amtshilfe zu, in dem sie personell und sächlich nicht ausreichend ausgestattet ist. Die Vorschrift ist entsprechend teleologisch zu reduzieren.[1] Nur wenn trotz Vorhandenseins der erforderlichen Mindestausstattung der ersuchenden Finanzbehörde die zur Erledigung von Sonderaufgaben benötigten Speziallisten (z. B. im IT-Bereich oder bei speziellen Ermittlungshandlungen) und besonderen Einrichtungen oder die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen fehlen, kommt eine Amtshilfe nach Nr. 2 in Betracht.[2]

[1] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 112 AO Rz. 31.
[2] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 112 AO Rz. 2.

2.3 Unbekannte Tatsachen (Nr. 3)

 

Rz. 7

Fehlen der Finanzbehörde für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Kenntnisse und kann sie diese selbst nicht mit ihren Kräften und mit zumutbarem Aufwand beschaffen, so kann sie andere Behörden um Amtshilfe ersuchen. Als ersuchte Behörden kommen sowohl solche in Betracht, die die erforderlichen Kenntnisse besitzen, als auch solche, die sie ermitteln können. Die Amtshilfe muss sich allerdings auf unbekannte Tatsachen beziehen; unbekannte Rechtskenntnisse fallen dagegen ebenso wenig unter Nr. 3 wie unbekannte Wertungen, über die von der ersuchten Behörde ein Gutachten eingeholt werden soll.[1]

[1] Ebenso Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 112 AO Rz. 2.

2.4 Urkunden und sonstige Beweismittel (Nr. 4)

 

Rz. 8

Befindet sich eine andere Behörde im Besitz von Urkunden und anderen Beweismitteln, die die Finanzbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt, so kann die Finanzbehörde die andere Behörde um Amtshilfe ersuchen. In Betracht kommen vor allem Akten oder Aktenteile, aber auch Beweismittel jeder Art. Dazu gehören außer Urkunden auch andere körperliche Beweismittel. Das können Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und Datenträger (z. B. DVDs, USB-Sticks) ebenso sein wie andere rein körperliche Gegenstände. Die Amtshilfe geschieht regelmäßig durch Übersendung der Urkunde bzw. des sonstigen Beweismittels zur Einsichtnahme oder durch Zurverfügungstellung zur Einsicht bei der ersuchten Behörde. Auch die Überlassung von Kopien ist vielfach möglich.

 

Rz. 9

Da sich die ersuchte Behörde im Besitz der Urkunde bzw. des sonstigen Beweismittels befinden muss, kommt als Inhalt des Ersuchens nach Nr. 4 eine Beschaffung nicht in...

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