1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die allgemeine Feststellung der Amtshilfepflicht in Art. 35 GG besagt nicht, dass Amtshilfe in jedem Fall und Umfang gefordert werden kann und geleistet werden muss. Das gilt auch in den §§ 111116 AO, die sich auf die Amtshilfe einseitig für die Finanzbehörden beschränken. Die Amtshilfe ist nur ein Hilfsmittel für die an sich von der Finanzbehörde zu leistenden Tätigkeiten. Diese hat ihre Aufgaben grundsätzlich selbst zu erledigen. Die Amtshilfe dient insbesondere der Erleichterung der Behördenarbeit und darf nicht durch falsche Inanspruchnahme das Gegenteil erreichen. Während § 111 AO noch die allgemeine Amtshilfepflicht regelt, bestimmt § 112 AO die Voraussetzungen und Grenzen des konkreten Amtshilfeersuchens.[1] § 112 AO enthält deswegen neben einer beispielhaften Aufzählung der wichtigsten Voraussetzungen und Fälle für ein Amtshilfeersuchen eine Grenzziehung zu den Fällen, in denen Amtshilfe nicht geleistet werden kann und nicht geleistet zu werden braucht.

Auch wenn § 112 AO, anders als noch § 111 AO, nicht mehr die Amtshilfe durch Gerichte erwähnt, gilt diese Vorschrift auch bei Inanspruchnahme von Amts- oder Rechtshilfe eines Gerichts als ersuchter Behörde.[2]

 

Rz. 2

Die Regelung des § 112 AO ist so aufgebaut, dass sie zunächst in Abs. 1 die typischen Fälle nennt, in denen Amtshilfe zu leisten ist. In Abs. 2 bezeichnet sie die Fälle, in denen Amtshilfe verweigert werden muss, und in Abs. 3, in welchen Fällen sie verweigert werden darf. Abs. 4 zeigt die Grenzen der Verweigerungsmöglichkeiten auf, während Abs. 5 ein außergerichtliches Verfahren für den Fall des Bestehens von Meinungsverschiedenheiten über das Bestehen einer Amtshilfepflicht enthält. Die Vorschrift ist im Wesentlichen identisch mit § 5 VwVfG und § 4 SGB X.

 

Rz. 3

Die ersuchende Finanzbehörde sollte, obwohl § 121 AO mangels eines Verwaltungsakts nicht anwendbar ist, das Amtshilfeersuchen kurz begründen, damit die ersuchte Behörde eine Prüfung nach Abs. 2 bis 4 anstellen kann.[3]

[1] Koenig/Zöllner, AO, 4. Aufl. 2021, § 111 Rz. 2.
[2] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 112 AO Rz. 12.
[3] Ebenso Brandis, in Tipke/Kruse , AO/FGO, § 112 AO Rz. 1.

2 Berechtigung zum Amtshilfeersuchen (Abs. 1)

 

Rz. 4

Ein Amtshilfeersuchen darf die Finanzbehörde grundsätzlich nur dann stellen, wenn sie auf die Hilfe anderer Behörden angewiesen ist (Abs. 1). Dies ergibt sich bereits aus § 111 Abs. 1 AO, wonach nur die erforderliche Amtshilfe zu leisten ist. Die Behörden sind so auszustatten, dass sie – wenigstens in ihrem örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich – ihre Aufgaben selbst erfüllen können. Nur wenn sie die Tätigkeit dennoch nicht ausführen können, sind sie auf die Amtshilfe angewiesen. Abs. 1 nennt hierzu die wichtigsten Fallgruppen, in denen die Finanzbehörde eine andere Behörde um Amtshilfe ersuchen kann. Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, ist die Aufzählung der wichtigen Fallgruppen nur beispielhaft, also nicht abschließend.[1] Bei der Entscheidung darüber, ob die ersuchende Behörde Amtshilfe in Anspruch nehmen will, steht ihr ein Ermessen[2] zu.[3]

[1] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 112 AO Rz. 1.
[3] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 112 AO Rz. 19; Koenig/Zöllner, AO, 4. Aufl. 2021, § 112 Rz. 3.

2.1 Rechtliches Unvermögen der Finanzbehörde (Nr. 1)

 

Rz. 5

Die Fälle, in denen eine Finanzbehörde die Amtshandlung aus rechtlichen Gründen nicht selbst vornehmen kann, sind sicher nicht sehr häufig. In Betracht kommt insbesondere das Fehlen örtlicher oder sachlicher Zuständigkeit für bestimmte Ermittlungshandlungen.[1]

Dabei ist zu beachten, dass das rechtliche Unvermögen nur einen Teil des "Grundverfahrens"[2] betrifft, das im Übrigen jedoch rechtlich zulässig und möglich ist. Die Tätigkeit kann regional zulässig, in einem anderen Bundesland der ersuchenden Finanzbehörde – obwohl grundsätzlich "ein einheitlicher Verwaltungsraum" besteht[3] – rechtlich verschlossen sein (z. B. die durch eine Steuerfahndungsstelle in einem anderen Bundesland ohne Hinzuziehung der dort zuständigen Finanzbehörde durchgeführten Ermittlungshandlungen). Entsprechendes muss für den Fall der fehlenden sachlichen Zuständigkeit gelten. Entscheidend für das Bestehen eines rechtlichen Unvermögens ist, dass die eigene Vornahme der ersuchten Handlung bzw. des Teilakts durch die ersuchende Finanzbehörde rechtswidrig wäre. Rechtliche Unmöglichkeit liegt auch vor bei Ermittlungshandlungen im Ausland. In diesen Fällen richtet sich das Amtshilfeersuchen an die ausländische Behörde nach internationalen Vereinbarungen.[4]

[1] Klein/Rätke, AO, 15. Aufl. 2020, § 112 Rz. 2.
[2] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 112 AO Rz. 25.
[3] Brandis, in Tipke/Kruse , AO/FGO, § 112 AO Rz. 2.
[4] Vgl. § 117 AO.

2.2 Tatsächliches Unvermögen der Finanzbehörde (Nr. 2)

 

Rz. 6

Wenn die Finanzbehörde aus tatsächlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann, ist diese Umschreibung zu weit ausgefallen. Das gilt auch dann, wenn das Fehlen der "zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen" zur Auslegung hinzugezogen werden. Die Vorschrift lässt für den Fall keine Amtshilfe zu, in dem sie personell und sächlich nicht ausreichend...

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