Rz. 11

Klärbarkeit ist nur dann gegeben, wenn das angefochtene Urteil auf der aufgeworfenen Frage beruht, d. h. wenn diese nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das Urteil entfiele.[1] Die Rechtsfrage muss entscheidungserheblich sein.[2] Das ist der Fall, wenn eine Aussage zu der Rechtsfrage erforderlich war, um die vom FG getroffene Entscheidung zu begründen.[3] Daran fehlt es von vornherein, wenn sich die Frage bei dem vom FG festgestellten Sachverhalt gar nicht stellt[4] oder wenn sie an einen Sachverhalt anknüpft, der vom FG so nicht festgestellt wurde.[5] Die Ausführungen des FG zu der Frage müssen seine Entscheidung tragen.[6] Das ist nur dann der Fall, wenn die Ausführungen des FG erforderlich waren, um sein Urteil zu begründen.[7] Die Rechtsfrage muss nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG im erstrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sein und daher geklärt werden können.[8]

 

Rz. 12

Daran fehlt es, wenn das FG die aufgeworfene Rechtsfrage offengelassen hat[9]; ebenso wenn das FG-Urteil doppelt oder mehrfach in der Weise (kumulativ) begründet ist, dass jeder der mehrfachen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte – nach der Rechtsauffassung des FG – das Urteil alleine trägt, jedoch mit der Nichtzulassungsbeschwerde nur für eine Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird.[10] Dies gilt auch, wenn eine Begründung zur Unzulässigkeit, die andere zur Unbegründetheit der Klage führt.[11] Ein Fall kumulativer Begründung liegt regelmäßig bei Haupt- und Hilfsbegründung vor[12], und zwar auch dann, wenn – wie häufig – die Hilfsbegründung nur mit knappen Erwägungen "im Übrigen" abgehandelt ist. Lediglich beiläufige Ausführungen (obiter dicta) stellen allerdings keine selbstständig tragende Hilfsbegründung dar.

Bei alternativer Urteilsbegründung, d. h., wenn bei Wegfall einer Begründung die andere nicht selbstständig bestehen könnte, ist dagegen für jede Begründung Entscheidungserheblichkeit gegeben. Daher reicht hier in der Nichtzulassungsbeschwerde der Vortrag eines Zulassungsgrunds für eine (oder mehrere) Urteilsbegründungen.[13] Anders bei kumulativer Begründung, d. h., wenn das Urteil "auf zwei Beine gestellt ist", dann muss für jede Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden.[14]

An der Klärungsfähigkeit fehlt es auch, wenn der BFH bereits verfahrensrechtlich an einer Entscheidung gehindert ist, z. B. wenn es sich um irrevisibles Recht handelt.[15]

 

Rz. 13

Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, verlangte der BFH für die Klärungsfähigkeit auch, dass im Fall der Bejahung der Verfassungswidrigkeit durch den BFH und auf eine Vorlage durch ihn an das BVerfG eine für den Beschwerdeführer günstigere Entscheidung aufgrund rückwirkender Neuregelung oder Übergangsregelung zu treffen wäre und der Beschwerdeführer dies substanziiert darlegt.[16] Gegen diese Einschränkung bestehen Bedenken. Da das BVerfG zunehmend Gesetze nicht für nichtig, sondern lediglich für unvereinbar mit dem GG erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung einräumt[17], führt diese Auffassung dazu, dass die Frage der Verfassungswidrigkeit dann, wenn nicht zu erwarten ist, dass der Kläger in den Genuss einer Neu- oder Übergangsregelung kommt, einer Prüfung durch den BFH entzogen ist. Hinzu kommt, dass die Wirkung einer die Verfassungswidrigkeit bestätigenden Entscheidung des BVerfG kaum vorhersehbar ist. Der BFH bejaht daher neuerdings die Entscheidungserheblichkeit bereits dann, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber eine für den Kläger günstige Regelung schafft bzw. wenn er nicht offenkundig daran gehindert ist.[18]

Hat das BVerfG die befristete Anwendung einer für verfassungswidrig erklärten Vorschrift zugelassen, ist dies für die Gerichte verbindlich.[19] Das dem BVerfG zustehende Ermessen, ob und inwieweit eine als verfassungswidrig erkannte Regelung vorläufig weiter anwendbar ist, ist der Prüfungskompetenz der Fachgerichte entzogen.[20] Auch wenn der BFH eine Vorschrift für verfassungsgemäß hält und dies bereits entschieden hat, ist gleichwohl grundsätzliche Bedeutung zu bejahen, wenn Verfassungsbeschwerden anhängig sind, die als nicht von vornherein aussichtslos zu beurteilen sind. Denn der Kläger hat hier einen Anspruch auf eine weitere Entscheidung des BFH, damit er selbst gegen eine ablehnende Revisionsentscheidung Verfassungsbeschwerde einlegen kann, oder auf Aussetzung des Verfahrens analog § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG über die bereits anhängigen Verfassungsbeschwerden.[21]

 

Rz. 14

An der Klärungsfähigkeit fehlt es nicht, wenn der BFH, weil er eine Norm für verfassungswidrig hält, nicht selbst über die Verfassungswidrigkeit entscheiden kann, sondern das Verfahren aussetzen und eine Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG einholen muss. Denn auch über dieses Zwischenverfahren wird die herausgestellte Rechtsfrage im Revisionsverfahren entschieden.[22]

Klärbarkeit ist auch gegeben, wenn die nicht entfernte Möglichkeit von Z...

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