3.1.1.3.1 Gleichmäßigkeitsgrundsatz

 

Rz. 33

Die Stpfl. müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden.[1] Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen.[2] Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist ein Allgemeingut von herausgehobener Bedeutung.[3] Der Gesetzgeber ist damit verpflichtet, das materielle Steuergesetz in ein verfahrensrechtliches Umfeld einzubetten, das grundsätzlich geeignet ist, die tatsächliche Lastengleichheit der Stpfl. zu gewährleisten. Dies ist bei verfassungskonformer Auslegung des § 88 Abs. 2 AO zu beachten.[4]

Der Gleichmäßigkeitsgrundsatz gebietet demgemäß, dass bei vergleichbaren Risiken für eine unzutreffende Steuererklärung durch vergleichbare Ermittlungsmaßnahmen ein vergleichbares Entdeckungsrisiko geschaffen wird. Ein schon seit Längerem bewährtes Instrument für die Bewertung des Risikos ist der nunmehr in § 88 Abs. 5 AO geregelte Einsatz von Risikomanagementsystemen (RMS), die einerseits im Falle der Überschreitung einer Risikoschwelle die Steuererklärung von der vollautomatischen Bearbeitung teilweise oder vollständig ausschließt. Denkbar wäre zudem die Einführung eines Compliancegedankens bei der Ausgestaltung des Amtsermittlungsgrundsatzes, an dem sich beispielsweise der Umfang der zu Beweiszwecken vorzulegenden Unterlagen, die Häufigkeit der Durchführung von Außenprüfungen oder die Länge steuerlicher Erklärungsfristen[5] zu orientieren hätten. Anhand des Grades der Erfüllung steuerlicher Pflichten könnte die Einleitung und der Umfang von Ermittlungsmaßnahmen austariert werden.

3.1.1.3.2 Gesetzmäßigkeitsgrundsatz

 

Rz. 34

Aus der Bindung der Verwaltung an das Gesetz entspringt das Gebot, den die gesetzliche Rechtsfolge auslösenden Sachverhalt zweifelsfrei in Erfahrung zu bringen. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.[1] Die Finanzbehörde darf daher nur in dem durch Gesetz und Recht vorgesehenen Rahmen handeln, sie muss aber zugleich die gesetzlich entstandenen Steueransprüche im Rahmen ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten ermitteln und durchsetzen.[2] Nur im Rahmen der durch das Gesetz vorgegebenen Möglichkeiten[3] darf die Finanzbehörde auf die Festsetzung und Erhebung entstandener Steueransprüche verzichten. Eine Vereinbarung über die individuelle Steuerlast oder ein Vergleich über den Umfang bestehender Steuerpflichten kommt daher nicht in Betracht.[4]

Allerdings findet die Durchsetzung des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes seine Grenzen in den Mitwirkungspflichten des Stpfl. und Dritter. Bleibt der ermittelte Sachverhalt trotz obligationsmäßiger Erfüllung dieser Mitwirkungspflichten unzureichend, so ist die unmittelbare Anwendung des Gesetzes unmöglich, muss aber ggf. bei einer in Betracht kommenden Schätzung[5] zwingend berücksichtigt werden.

[2] Baum, NWB 35/2016, 2636, 2638.
[3] Vgl. z. B. §§ 163, 227 AO.
[4] Wohl aber unter bestimmten Voraussetzungen eine Verständigung über den dem Recht zu unterstellenden Sachverhalt; vgl. Rz. 91ff.
[5] Vgl. § 162 AO.

3.1.1.3.3 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

 

Rz. 35

Der nach § 88 Abs. 2 S. 1 AO das Handeln der Finanzbehörde bindende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips[1] und dementsprechend ohnehin für jede hoheitliche Gewalt verbindlich.[2] Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als verfassungsrechtlich verankertem Prinzip ist regelmäßig das Mittel zu wählen, das bei gleichem Erkenntniswert den geringsten Eingriff in die Sphäre des Beteiligten mit sich bringt. Die Ermittlungshandlungen dürfen danach zu dem angestrebten Erfolg nicht erkennbar außer Verhältnis stehen. Sie sollen so gewählt werden, dass damit unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls ein möglichst geringer Eingriff in die Rechtssphäre des Beteiligten oder Dritter verbunden ist.[3] So ist eine Ermittlungsmaßnahme nur erforderlich, wenn nicht ein anderes, gleich wirksames, aber die Rechte der betroffenen Person weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte gewählt werden können.[4]

 

Rz. 36

An einigen Stellen hat der Grundsatz ausdrücklich Eingang in das Verfahrensrecht gefunden. Von besonderer Bedeutung ist die Gewährung rechtlichen Gehörs vor Erlass einer belastenden Behördenentscheidung. Des Weiteren ist nach § 93 Abs. 1 S. 3 AO die Inanspruchnahme von Dritten erst dann zulässig, wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass der Stpfl. selbst seiner Mitwirkungspflicht nicht genügen wird oder genügt hat. § 150 Abs. 8 AO enthält in Fällen, in denen die Befolgung der gesetzlich vorgeschriebenen Erklärungsform eine unzumutbare Härte für die Stpfl. ...

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