Rz. 196

Die tatsächliche Verständigung ist wirksam, wenn sie auf beiden Seiten von den entscheidungsbefugten Personen abgeschlossen wurde, sich auf die Beseitigung sachlicher Unklarheiten beschränkt, also nicht auf Rechtsfragen bezieht, und die Verständigung vom Bindungswillen beider Seiten getragen wurde. Verfahrensfehler im vorausgegangenen Besteuerungs- oder Außenprüfungsverfahren führen nicht zur Unwirksamkeit der tatsächlichen Verständigung.[1]

Sind einzelne Teile der tatsächlichen Verständigung unwirksam, andere wirksam, stellt sich die Frage der Gesamtunwirksamkeit. I. d. R. wird es nicht möglich sein, einzelne Teile als wirksam aufrechtzuerhalten, da die tatsächliche Verständigung auf einem beiderseitigen Nachgeben beruht. Einzelpunkte einer tatsächlichen Verständigung sind regelmäßig als unselbstständige Bestandteile einer "Paketlösung" zu sehen[2]. Die Unwirksamkeit einzelner Teile wird daher i. d. R. die Ausgeglichenheit des ganzen "Pakets" berühren und zur Unwirksamkeit insgesamt führen. Das BMF[3] ordnet daher an, dass eine tatsächliche Verständigung sich regelmäßig nur auf einen einzigen Sachverhalt beziehen soll. Bei mehreren Streitpunkten sollen mehrere selbstständige tatsächliche Verständigungen abgeschlossen werden. Nur wenn auf diesem Weg eine Einigung nicht zu erreichen ist, soll einer "Paketlösung" zugestimmt werden. Dem Stpfl. ist zu empfehlen, auf einer Paketlösung zu bestehen, da er sonst Gefahr läuft, dass das FA nur die für den Stpfl. ungünstigen Teile der Einigung aufrecht erhält, für die anderen Teile aber die Bindungswirkung leugnet. Nur eine "Paketlösung" wird der Realität einer vergleichsweisen Einigung gerecht.

 

Rz. 197

Ist die tatsächliche Verständigung unwirksam, kann die Finanzbehörde den Sachverhalt uneingeschränkt neu regeln, z. B. durch einseitige Schätzung. Der Stpfl. kann uneingeschränkt Rechtsbehelf gegen die Steuerfestsetzung einlegen.

 

Rz. 198

Nicht geklärt ist bisher, ob sich Finanzbehörde und/oder Stpfl. aus der Bindung wieder lösen können.

Unproblematisch ist eine einvernehmliche Aufhebung der Vereinbarung. Wenn die Beteiligten die Bindung durch übereinstimmende Willenserklärung hervorbringen durften, können sie die Bindung auch durch übereinstimmende Willenserklärungen wieder beseitigen. Hiervon zu unterscheiden ist aber die Frage, ob und wie dies in der Steuerfestsetzung zu erfassen ist.[4]

 

Rz. 199

Eine einseitige Auflösung einer tatsächlichen Verständigung, die nicht an Mängeln leidet, ist nicht möglich, und zwar auch dann nicht, wenn der Stpfl. bei ihrem Abschluss steuerlich nicht vertreten war.[5] Für die Frage einer einseitigen Auflösung der Bindung bei einer mit Mängeln behafteten tatsächlichen Verständigung ist nach dem Rechtsgrund der Bindung[6] zu unterscheiden. Soweit der Rechtsgrund der Bindung in Treu und Glauben gesehen wird, gelten die allgemeinen Grundsätze aus Treu und Glauben. Wird in der tatsächlichen Verständigung ein Vertrag gesehen, gelten Vertragsgrundsätze.[7] Es gelten die Anfechtungsregeln der §§ 119, 123 BGB in analoger Anwendung; dies entspricht weitgehend § 172 Abs. 1 Nr. 2c AO.[8] In diesem Fall muss eine Anfechtung innerhalb der Fristen der §§ 119, 121 BGB (unverzüglich) oder des § 124 BGB (ein Jahr bei arglistiger Täuschung) erfolgen.[9] Bei arglistiger Täuschung beginnt die Jahresfrist in dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt. Ein Verdacht oder Kennenmüssen setzt die Anfechtungsfrist nicht in Lauf.[10] M. E. können diese Fristen auch entsprechend herangezogen werden, wenn in der tatsächlichen Verständigung kein vertragsähnliches Verhältnis gesehen wird. Dann muss sich der Stpfl. nach Treu und Glauben so schnell wie zumutbar von der tatsächlichen Verständigung lösen. Für die Frage der Zumutbarkeit geben §§ 121, 124 BGB angemessene Maßstäbe.

 

Rz. 200

Außerdem ist die tatsächliche Verständigung unwirksam bei Einigungsmängeln, vgl. § 154 BGB, Vertretungsmängeln, vgl. § 164 BGB, und bei Vorliegen eines Scheingeschäfts, vgl. § 117 BGB.[11]

 

Rz. 201

Eine direkte Anwendung der §§ 130, 131, 172ff. AO ist nicht möglich, da die tatsächliche Verständigung ein Vertrag ist bzw. sich seine Bindung aus Treu und Glauben und damit nicht auf einer einseitigen hoheitlichen Anordnung der Behörde, ergibt. Die tatsächliche Verständigung ist daher kein Verwaltungsakt.[12]

 

Rz. 202

Ein Motivirrtum ist unbeachtlich. Ein Motivirrtum liegt vor bei den Vorstellungen einer der beiden Parteien über die insgesamt eintretenden steuerlichen Auswirkungen.[13] Das gilt auch dann, wenn die Annahme der einen Seite über die steuerliche Belastung der anderen Seite bekannt oder für sie erkennbar ist, sowie dann, wenn durch die unerwarteten Steuerfolgen die der anderen Seite offengelegten Beweggründe der Verständigung entwertet werden. Unbeachtlich ist auch ein Irrtum einer der beiden Seiten über den tatsächlichen Sachverhalt. Die tatsächliche Verständigung soll, ebenso wie die Schätzung, eine Unsicherheit beseitigen; Unsicherheit gehört also zu den ...

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