Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen H. Hilflosigkeit. Versorgungsmedizinische Grundsätze. geistige Behinderung. Voraussetzungen für einen GdB von 100. Maß der verbliebenen Selbstständigkeit. Erforderlichkeit der ständigen Bereitschaft zur Hilfeleistung. akute Lebensgefahr oder vergleichbar schwerwiegende Gesundheitsgefahren

 

Leitsatz (amtlich)

Hilflosigkeit ist nach Teil A Nr 4 f aa VMG nur bei einer geistigen Behinderung anzunehmen, die mit einem GdB von 100 zu bewerten ist. Dies ist nach Teil B Nr 3.4.2 VMG nicht anzunehmen, wenn der behinderte Mensch zwar nur in einer WfBM arbeiten kann und Leistungen des ambulant betreuten Wohnens erhält, sich aber eine gewisse Selbstständigkeit erarbeitet hat, über ein unbeeinträchtigtes Sprachvermögen verfügt und eine stabile Partnerbeziehung führt, in deren Rahmen die Wochenenden ohne professionelle Betreuung verbracht werden.

Hilflosigkeit ist nach Teil A Nr 4 b-d nicht schon deshalb anzunehmen, weil eine regelmäßige Beobachtung des behinderten Menschen erfolgen muss und die Bereitschaft zur Hilfeleistung bestehen muss, um gewichtige Gesundheitsgefahren abzuwenden. Zwar ist die Annahme von Hilflosigkeit bei ständiger Hilfebereitschaft nicht auf die Vermeidung akuter Lebensgefahr beschränkt, gefordert sind aber vergleichbare schwerwiegende gesundheitliche Risiken.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 9. Januar 2012 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die am ___ 1979 geborene Klägerin begehrt die Zuerkennung des Merkzeichens “H„ (Hilflosigkeit).

Die Klägerin leidet seit dem frühesten Kindesalter an einer Störung des Harnentleerungssystems, welches bereits im September 1982 zur Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 geführt hat. Mittlerweile liegt ein Zustand nach Nierentransplantation mit künstlicher Harnableitung vor. Bereits mit Bescheid vom 17. September 2002 ist bei der Klägerin ein GdB von 100 anerkannt worden. Ebenfalls bereits seit dem Kleinkindalter liegt bei der Klägerin eine geistige Behinderung vor. Sie lebt in einer Einrichtung des betreuten Wohnens und arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Kostenträger dieser Maßnahmen ist der Kreis Pinneberg als örtlicher Sozialhilfeträger.

Nachdem eine Nierentransplantation bei ihr durchgeführt worden war, beantragte die Klägerin mit Antrag vom 20. Mai 2009 die Zuerkennung des Merkzeichens “H„. Der Beklagte holte zur Aufklärung des Sachverhaltes einen Befundbericht des Nephrologischen Zentrums E___ ein, dem auch Unterlagen zur Nierentransplantation aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf beigefügt waren. Ferner zog der Beklagte noch ein Gutachten des Sachverständigen Dr. M_____ bei, welches für das Amtsgericht Elmshorn im Zusammenhang mit der Bestellung der Betreuerin der Klägerin am 16. März 2007 erstellt worden war. Mit Bescheid vom 25. August 2009 lehnte der Beklagte die Zuerkennung des Merkzeichens “H„ ab. Zur Begründung führte er aus, die Voraussetzungen dieses Merkzeichens lägen nicht vor. Die Klägerin bedürfe für eine Reihe von häufig und wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages keiner dauernden fremden Hilfe, auch nicht in Form einer Überwachung oder Anleitung.

Dagegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 1. September 2009. Im Widerspruchsverfahren zog der Beklagte ein durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Nord für die Pflegeversicherung erstelltes Gutachten vom 5. Februar 2008 bei, in dem ein grundpflegerischer Hilfebedarf im Sinne der sozialen Pflegeversicherung nicht erkannt worden war. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der am 19. November 2009 beim Sozialgericht Itzehoe erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Sie hat vorgetragen, die Ablehnung des Merkzeichens “H„ sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Infolge der Nierentransplantation sei die Folgebehandlung beim Nephrologen erforderlich. Dafür benötige sie Hilfe, da sie aufgrund der bestehenden geistigen Behinderung die dortigen Termine nicht selbstständig erreichen könne. Infolge der geistigen Behinderung sei sie orientierungslos und könne öffentliche Verkehrsmittel nicht alleine nutzen. Aufgrund der notwendigen Begleitungen zu den Nachsorgeuntersuchungen seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens “H„ gegeben. Sie benötige ständig Hilfe bzw. Anleitung in Hinblick auf die Körperhygiene. Sie müsse ständig an frische Kleidung erinnert werden. Zweimal täglich seien eine Kontrolle der Medikamentengabe sowie eine Kontrolle des Katheters erforderlich.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 25. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2009 abzuändern und den Beklagten ...

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