Entscheidungsstichwort (Thema)

Umwandlung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in eine Ehe als auf das Veranlagungswahlrecht rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

In der Einführung von § 20a Abs. 5 LPartG bzw. Art. 3 Abs. 2 EheöffnungsG liegt ein rückwirkendes Ereignis im Sinn des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Auch wenn eingetragene Lebenspartner erst im Jahr 2020 rückwirkend ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umbewandelt haben, können sie die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer auch für bereits bestandskräftig einzelveranlagte Jahre (im Streitfall: 2006-2009) verlangen (Anschluss an FG Hamburg, Urteil v. 31.7.2018, 1 K 92/18). Die in Art. 97 § 9 Abs. 5 AO angeordnete Frist zur Umwandlung steht dem nicht entgegen.

 

Normenkette

EheöffnungsG Art. 3 Abs. 2; LPartG § 20a Abs. 1, 5; EGAO Art. 97 § 9 Abs. 5; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 26 Abs. 1 S. 1; GG Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Tenor

1. Der Ablehnungsbescheid vom 18. November 2021 und die Einspruchsentscheidung vom 7. Februar 2023 werden aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, die Klägerinnen in den Jahren 2006 bis 2009 zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist für die Klägerinnen hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerinnen Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerinnen in den Streitjahren gemeinsam zu veranlagen sind.

Die Klägerinnen lebten seit dem 5. August 2006 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Am 8. Mai 2020 gaben sie eine Erklärung dazu ab, dass die Lebenspartnerschaft in eine Ehe überführt werden soll. Die bisher getrennt veranlagten Klägerinnen beantragten am 14. Juli 2020, sie in den Streitjahren gemeinsam zu veranlagen.

Gegenüber der Klägerin zu 1 hatte der Kläger die Einkommensteuer zuletzt wie folgt festgesetzt:

Jahr

Bescheiddatum

Höhe in EUR

2006

05.02.2008

33.072

2007

29.01.2009

35.989

2008

11.02.2010

45.571

2009

03.12.2010

57.677

und gegenüber der Klägerin zu 2:

Jahr

Bescheiddatum

Höhe in EUR

2006

13.08.2009

13.076

2007

13.08.2009

14.503

2008

04.09.2009

8.290

2009

10.11.2010

14.069

Mit Bescheid vom 18. November 2021 lehnte der Beklagte den Antrag auf Zusammenveranlagung ab. Hiergegen legten die Klägerinnen Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 7. Februar 2023 als unbegründet zurückwies.

Die Klägerinnen tragen vor, dass erst seit 1. Oktober 2017 für gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit bestehe, eine zivilrechtliche Ehe einzugehen. Bei davor geschlossenen Lebenspartnerschaften habe nach entsprechender Erklärung der Lebenspartnerinnen die Umwandlung in eine Ehe erfolgen können. Gemäß Artikel 3 Abs. 2 EheöffnungsG sollten die Lebenspartnerinnen dann so zu stellen sein, als hätten sie am Tag der Begründung ihrer Lebenspartnerschaft geheiratet. Dadurch sollte die bestehende Ungleichbehandlung zwischen eingetragenen Lebenspartnerschaften und Ehen rückwirkend beseitigt werden.

Die in Artikel 97 § 9 Abs. 5 EGAO für steuerliche Zwecke geschaffene zeitliche Begrenzung ändere nichts daran, dass in der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe ein rückwirkendes Ereignis liege. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO stelle daher weiterhin eine Rechtsgrundlage dar, die eine Änderung der streitgegenständlichen Steuerfestsetzung ermögliche. Bis zum 31. Dezember 2019 habe zwar Artikel 97 § 9 Abs. 5 EGAO als Rechtsgrundlage Anwendung gefunden, dies führe aber nicht zu einer Verdrängung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ab dem 1. Januar 2020, da ansonsten eine ungerechtfertigte Benachteiligung bestehe. Außerdem enthalte Artikel 97 § 9 Abs. 5 EGAO keine Regelung dahingehend, dass nach dem 31. Dezember 2019 kein rückwirkendes Ereignis mehr vorliege. Die unterschiedliche Behandlung identischer Sachverhalte aufgrund einer geringfügigen zeitlichen Verschiebung sei nicht sachgerecht und dürfe nicht zu einer Benachteiligung führen.

In der rückwirkenden Änderung steuerrechtlicher Vorschriften sei kein rückwirkendes Ereignis zu sehen, weil sich dadurch der dem Steuertatbestand zugrundeliegende Lebenssachverhalt nicht ändere. Etwas Anderes gelte in den Fällen, in denen die rückwirkende Änderung außersteuerrechtlicher Normen dazu führe, dass ein bestandskräftig geregelter Einzelfall (Sachverhalt) nachträglich umgestaltet werde. Das Eheöffnungsgesetz sei ein außersteuerliches Gesetz und damit grundsätzlich geeignet, eine Rückwirkung im Sinne von § 175 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu entfalten. Für eine Änderung der Bescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufgrund des Eheöffnungsgesetzes sei es nicht erforderlich, dass das Gesetz eine ausdrückliche Regelung zur Frage der Änderung von bestandskräftigen Bescheiden enthalte. Das Eheöffnungsgesetz selbst enthalte keine einschränkende A...

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