Entscheidungsstichwort (Thema)

Anlaufhemmung bei der Erbschaftsteuer. unklare Verhältnisse. Erlass des Bescheids gegenüber dem Nachlasspfleger

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Um die Verjährungsfrist für die Erbschaftsteuer in Gang zu setzen, muss der Erbe mit einer solchen Zuverlässigkeit und Gewissheit Kenntnis von seinem unangefochtenen Erbschaftserwerb erlangt haben, dass er in der Lage ist und von ihm deshalb auch erwartet werden kann, seine Anzeigepflicht nach § 30 ErbStG zu erfüllen.

2. Bei völlig unklaren Verhältnissen kann im Einzelfall Kenntnis erst mit der Erteilung des Erbscheins vorliegen.

3. Wird ein Nachlasspfleger eingesetzt, steht es im Ermessen des Finanzamts, den Erbschaftsteuerbescheid diesem gegenüber zu erlassen.

 

Normenkette

AO § 170 Abs. 5 Nr. 1; ErbStG § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 6

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 27.04.2022; Aktenzeichen II R 17/20)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Kläger zur Last.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob zum Zeitpunkt des Erlasses des Erbschaftsteuerbescheids die Festsetzungsfrist abgelaufen war.

Der Kläger ist der Großcousin der im Mai 2003 verstorbenen Erblasserin A. Diese hinterließ ein privatschriftliches Testament vom 1. Juli 1998, wonach der Kläger ihr Erbe sein sollte. Am 4. April 2002 brachte die Erblasserin den Zusatz an, dass der Kläger ihr Alleinerbe sein sollte. Der Kläger beantragte daraufhin im Dezember 2003 einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein. Dem traten drei weitere mögliche gesetzliche Erben entgegen. Sie trugen vor, bei der Erblasserin sei es mit Beginn des Jahres 1998 zu einer Demenzerkrankung gekommen, so dass diese bei der Errichtung des Testaments bzw. Zusatzes testierunfähig gewesen sei. Es sei daher die gesetzliche Erbfolge eingetreten. Bezüglich der jeweiligen Anteile am Erbe bestand zwischen den drei möglichen gesetzlichen Erben Uneinigkeit.

Zum Nachlass der Erblasserin gehörten Bankguthaben, Wertpapiere, land- und forstwirtschaftliches Vermögen sowie Grundvermögen. Der Beklagte erhielt im September und Oktober 2003 Anzeigen der Bank B und der Bank C über die Höhe der Bankguthaben und Wertpapierdepots der Erblasserin. Wiederholte Anfragen des Beklagten gegenüber dem Nachlassgericht, u.a. auf Übersendung der letztwilligen Verfügung und des Erbscheins, blieben bis zum Jahr 2010 unbeantwortet. Erst im Jahr 2010 teilte das Nachlassgericht mit, dass ein Verfahren wegen der Erbenermittlung andauere. Mit Beschluss vom 27. April 2009 lehnte das Nachlassgericht den Antrag auf Bestellung eines Nachlasspflegers zunächst mit der Begründung ab, es halte den Kläger nach damaligem Stand aufgrund des Testaments für den Erben der A. Aufgrund des Antrags der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ordnete das Nachlassgericht mit Beschluss vom 25. Mai 2010 jedoch eine Nachlasspflegschaft an. Der Wirkungskreis umfasste die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie die Ermittlung der Erben.

Am 22. Juli 2010 forderte der Beklagte den Nachlasspfleger auf, die Erbschaftsteuersteuererklärung abzugeben. Der Nachlasspfleger kam dieser Aufforderung trotz Erinnerung nicht nach.

Mit Beschluss vom 19. Juli 2012 stellte das Nachlassgericht die Wirksamkeit der testamentarischen Verfügung fest und damit die Alleinerbschaft des Klägers. Die drei möglichen gesetzlichen Erben fochten den Beschluss mittels Beschwerde an. Dies teilte der Nachlasspfleger dem Beklagten im Juni 2015 mit und übersandte den vorbenannten Beschluss. Aufgrund sich anschließender, diverser Anfragen des Beklagten teilte das Nachlassgericht dem Beklagten letztmalig Anfang 2017 mit, dass das Verfahren weiterhin anhängig sei.

Das für die Feststellung der Grundbesitzwerte zuständige Finanzamt stellte im August und September 2012 die Grundbesitzwerte für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen und das Grundvermögen der Erblasserin fest und teilte dies dem Beklagten mit. Dabei rechnete es die Grundbesitzwerte dem Kläger zu.

Eine Steuererklärung oder eine Anzeige nach § 30 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) gab der Kläger indes nicht beim Beklagten ab.

Das Beschwerdeverfahren wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 9. Oktober 2017 rechtskräftig abgeschlossen. Am 4. Januar 2018 informierte der Nachlasspfleger den Beklagten über die Erteilung des Erbscheins zu Gunsten des Klägers. Eine Ablichtung des Erbscheins vom 25. Oktober 2017, der den Kläger als Alleinerben der Erblasserin A auswies, fügte der Nachlasspfleger seiner Mitteilung bei.

Die Mitteilung der Besteuerungsabsicht gegenüber dem Kläger erfolgte am 12. Januar 2018. Mit Bescheid vom 7. März 2018 setzte der Beklagte sodann die Erbschaftsteuer für den Erwerb des Klägers in Höhe von 163.705 Euro fest. Im hiergegen eingelegten Einspruch trug der Kläger vor, dass nach seiner Ansicht für die Festsetzung der Erbschaftsteuer bereits Verjährung eingetreten sei. Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 5 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) greife nicht ein. Unter ...

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