Gleiche Situation: Entsprechendes gilt für die Korrektur der Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG. Wird nämlich der Vorsteuerabzug des (gutgläubigen) Leistungsempfängers rückwirkend versagt und ist der Rückzahlungsbetrag gem. § 233a AO zu verzinsen, werden die wirtschaftlichen Tätigkeiten genauso "mit einer aus der Mehrwertsteuer resultierenden steuerlichen Belastung"[45] belegt, wie im Fall Senatex. Es ist nicht erkennbar, inwiefern sich der Fall der Steuerkorrektur gem. § 14c Abs. 1 UStG (im Regelfall durch Rechnungsberichtigung[46]) in diesem Punkt von dem Fall der "normalen" Rechnungsberichtigung (z.B. bei Berichtigung einer Steuernummer) unterscheiden soll. In beiden Fällen bleiben das Steueraufkommen und die finale wirtschaftliche Belastung der Beteiligten unverändert.

Erkennbarkeit: Ob die Steuern zu Recht bzw. in der richtigen Höhe in Rechnung gestellt werden, ist insbesondere für den Leistungsempfänger in vielen Fällen auch gar nicht feststellbar. Dies erkannte der EuGH z.B. im Fall Biosafe an, als er feststellte, die Leistungsempfängerin (Flexipiso) habe nicht gewusst, "dass eine zusätzliche Mehrwertsteuer geschuldet war."[47] Die Steuer wurde Flexipiso nachträglich in Rechnung gestellt und konnte trotz der (im nationalen Recht vorgesehenen) Verfristung noch abgezogen werden, weil der Fehler bei der ursprünglichen Versteuerung dem leistenden Unternehmer (Biosafe) zuzurechnen war. Zu überzogenen Anforderungen an den Steuerpflichtigen als "Steuereinnehmer für Rechnung des Staates" hat auch die Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen vom 8.7.2021 klare Worte gefunden.[48]

Neutralitätsgrundsatz gilt auch bei Art. 203 MwStSystRL: Wird also der Vorsteuerabzug versagt und werden gegen den Leistungsempfänger Zinsen festgesetzt, widerspricht dies dem Unionsrecht. Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verliert auch bei der Korrektur von Steuern i.S.d. Art. 203 MwStSystRL, § 14c UStG nicht seine Geltung. Im Gegenteil hat der EuGH seine Feststellung, dass die Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen die Korrektur jeder zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer ermöglichen müssen (s. oben I.1.), insbesondere damit begründet, dass die Geltung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer zu gewährleisten sei.[49] Eine Bestrafung der Beteiligten für den unberechtigten Ausweis von MwSt in einer Rechnung mit Erhebung von Strafzinsen sieht das Mehrwertsteuerrecht nicht vor.

[45] EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 – Senatex, UR 2016, 800 Rz. 37.
[46] S. oben I.2.
[47] Vgl. EuGH v. 12.4.2018 – C-8/17 – Biosafe, UR 2018, 399 Rz. 42.
[48] Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 8.7.2021 – C-156/20 – Zipvit Ltd, https://curia.europa.eu, Rz. 37.
[49] EuGH v. 19.9.2000 – C-454/98 – Schmeink & Cofreth AG & Co. KG, UR 2000, 470 Rz. 56.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge