Rz. 1

Billigkeitsmaßnahmen im Festsetzungsverfahren normiert § 163 AO. Billigkeitsmaßnahmen im Erhebungsverfahren werden in § 227 AO geregelt. Billigkeitsmaßnahmen können grundsätzlich wegen Unbilligkeit aus persönlichen oder sachlichen Gründen in Betracht kommen.

Bei den besonderen grundsteuerrechtlichen Erlassvorschriften nach §§ 32 bis 34 GrStG i. V. m. § 35 GrStG handelt es sich um den allgemeinen Billigkeitsregelungen gem. §§ 163, 227 AO vorgehende Spezialregelungen, die deren Anwendung jedoch nicht völlig ausschließen.[1] Es entspricht allerdings allgemeiner Ansicht, dass durch §§ 32 bis 34 GrStG die Fälle der sachlichen Unbilligkeit der Grundsteuererhebung wegen Ertragslosigkeit oder Ertragsminderung abschließend geregelt sind.[2] Insoweit kommt weder eine analoge Anwendung dieser Vorschriften auf weitere, gesetzlich nicht geregelte Sachverhalte, noch ein Rückgriff auf die §§ 163, 227 AO in Betracht.[3] Die Grundsteuer fällt als ertragsunabhängige Real- oder Objektsteuer auch bei ertragslosen Grundstücken an; die mangelhafte Ertragslage begründet deshalb keine zum Billigkeitserlass berechtigende sachliche Härte gem. §§ 163, 227 AO.[4] Die Erlassvorschriften in §§ 32 bis 34 GrStG durchbrechen insoweit für die geregelten Ausnahmefälle des Erlasses wegen Ertraglosigkeit oder wesentlicher Ertragsminderung die gesetzliche Konzeption der Grundsteuer als ertragsunabhängige Real- oder Objektsteuer. In den vom Gesetzgeber bestimmten Ausnahmefällen ist eine wesentliche Ertragsminderung als wirtschaftlich derart belastend anzusehen, dass die Einziehung der unverkürzten Grundsteuer für den Steuerschuldner nicht mehr zumutbar ist.[5]

Neben den Erlasstatbeständen nach §§ 32 bis 34 GrStG kommen mithin nur noch Billigkeitsmaßnahmen wegen persönlicher Unbilligkeit nach §§ 163, 227 AO, die Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit voraussetzen, in Betracht.

Die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen in §§ 32 bis 34 GrStG stellen allein auf grundbesitzbezogene Umstände ab; die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Steuerschuldners sind unerheblich. Die Grundsteuer knüpft als Real- oder Objektsteuer an den inländischen Grundbesitz als Steuergegenstand (§ 2 GrStG) an. Sie belastet die Steuergegenstände ohne Rücksicht auf die persönliche Leistungsfähigkeit der Steuerschuldner.

Im Gegensatz zu den allgemeinen Billigkeitsregelungen nach §§ 163, 227 AO, wonach die Gewährung eines Billigkeitserlasses im pflichtgemäßen Ermessen der Gemeinde steht, besteht nach den Vorschriften nach §§ 32 bis 34 GrStG ein Rechtsanspruch auf Erlass der Grundsteuer durch die Gemeinde, wenn die geforderten Voraussetzungen hierfür vorliegen.[6] §§ 32 bis 34 GrStG ordnen anders als die §§ 163, 227 AO den Steuererlass von Gesetzes wegen an; weshalb im Rahmen ihrer Anwendung kein Raum für eine Ermessensausübung verbleibt. Der Begriff der "Unbilligkeit" ist deshalb – anders als die entsprechenden Begriffe in §§ 163, 227 AO – als Rechtsbegriff zu qualifizieren, dessen Anwendung der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.[7]

 

Rz. 2

Im Rahmen der Neufassung des Grundsteuergesetzes vom 7.8.1973[8] wurden alle Vorschriften von grundsätzlicher Bedeutung zum Grundsteuererlass aus dem vormaligen § 26a des Grundsteuergesetzes vom 10.8.1951[9] in Verbindung mit der Grundsteuererlassverordnung vom 26.3.1952[10] in die §§ 32 bis § 34 GrStG überführt.[11]

Anlässlich der Grundsteuerreform 2019 wurden die Erlassvorschriften durch das Grundsteuer-Reformgesetz (GrStRefG) vom 26.11.2019[12] teilweise neu strukturiert. Die Regelungsmaterie im bisherigen § 33 GrStG (Erlass wegen wesentlicher Ertragsminderung) wurde aufgespalten in

  • § 33 GrStG Erlass wegen wesentlicher Reinertragsminderung bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft sowie
  • § 34 GrStG Erlass wegen wesentlicher Ertragsminderung bei bebauten Grundstücken.

Infolgedessen wurden die Vorschriften zum Erlassverfahren – inhaltlich unverändert – vom bisherigen § 34 GrStG in den § 35 GrStG überführt.

 

Rz. 3

Ein Erlass der Grundsteuer nach den §§ 32 bis 34 GrStG wird nur auf Antrag des Steuerschuldners gewährt. Die Antragsberechtigung ist nicht auf bestimmte Steuerschuldner begrenzt. Insbesondere muss der Antragsteller nicht zu den begünstigten Rechtsträgern nach § 3 Abs. 1 GrStG gehören.[13]

Das Erlassverfahren zu den Erlasstatbeständen nach §§ 32 bis 34 GrStG wird in § 35 GrStG geregelt.

Über den Erlassantrag entscheidet die zuständige Gemeinde. In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg sowie in der Stadtgemeinde Bremen obliegt die Entscheidung über den Erlassantrag den für die Veraltung der Grundsteuer zuständigen Finanzämtern. Die Steuererlasskompetenz folgt kraft Natur der Sache generell der Steuerertragskompetenz, weil der Steuererlass unmittelbar die Schmälerung des Steueraufkommens bewirkt.[14]

Lehnt die Gemeinde den Erlassantrag ganz oder teilweise ab, steht dem Steuerschuldner gegen den Ablehnungsbescheid der Verwaltungsrechtsweg (Widerspruch, Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht) bzw. in den Stadtstaa...

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