Mit dem Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes[1] wurde die 95 %-Grenze u. a. in dem Ergänzungstatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG auf 90 % abgesenkt. Grundsätzlich sind die neuen Vorschriften erstmalig auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 30.6.2021 verwirklicht werden.[2] Somit ist zwar keine unmittelbare Rückwirkung vorgesehen. Allerdings enthalten § 23 Abs. 19 bis 22 GrEStG umfangreiche Übergangsregelungen, nach denen die reduzierten Beteiligungsgrenzen und verlängerten Fristen (teilweise) auch Bedeutung für Rechtsvorgänge der Vergangenheit haben.

[1] Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes v. 12.5.2021, BGBl 2021 I S. 986.

2.6.1 Berücksichtigung von Übertragungen vor dem 1.7.2021

Bei Anwendung des § 1 Abs. 2a GrEStG bleiben Übergänge von Anteilen am Gesellschaftsvermögen auf Gesellschafter unberücksichtigt, die mit Ablauf des 30.6.2021 keine neuen Gesellschafter i. S. d. § 1 Abs. 2a GrEStG a. F. mehr sind.[1] Damit wird aus einem Altgesellschafter nach altem Recht aufgrund der Anhebung der Frist auf 10 Jahre kein Neugesellschafter nach neuem Recht. Wer hingegen den Status des Neugesellschafters nach altem Recht innehat, weil die 5-Jahresfrist noch nicht abgelaufen ist, muss die verlängerte Frist von 10 Jahren nach neuem Recht beachten.[2]

 
Praxis-Beispiel

Kein Wechsel vom Alt- zum Neugesellschafter[3]

Am Vermögen der grundbesitzenden Personengesellschaft P ist A zu 90 % und B zu 10 % beteiligt. Der Gesellschafter A überträgt am 2.7.2011 89 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen an den Neugesellschafter N. Fast 10 Jahre später – am 1.7.2021 – erwirbt N einen weiteren Anteil von 1 % an P.

Im Jahr 2011 hat sich der Gesellschafterbestand der P nicht innerhalb von 5 Jahren dergestalt geändert, dass mindestens 95 % der Anteile auf neue Gesellschafter übergegangen sind.[4] Da ab dem 1.7.2021 § 1 Abs. 2a GrEStG n. F. anzuwenden ist, sind durch den Erwerb des weiteren Anteils von 1 % innerhalb der letzten 10 Jahre zwar 90 % der Anteile auf N übertragen worden. Allerdings bleibt die Anteilsübertragung am 1.7.2011 nach § 23 Abs. 19 Satz 1 GrEStG unberücksichtigt, da N nach altem Recht bereits mit Ablauf des 1.7.2016 kein Neugesellschafter mehr war, sondern als Altgesellschafter einzustufen ist.

Wäre die Übertragung von 89 % der Anteile hingegen am 1.7.2016 (oder später) erfolgt, wäre die 5-jährige Haltefrist am 1.7.2021 noch nicht abgelaufen und N wäre noch als Neugesellschafter zu qualifizieren. Für die Übertragung am 1.7.2021 wäre für diesen Fall § 1 Abs. 2a GrEStG n. F. und somit die 10-jährige Haltefrist anzuwenden.

[2] Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 23.9.2019, BT-Drs. 19/13437 S. 16.
[3] Vgl. hierzu auch die weiteren Beispiele in den gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 29.6.2021, BStBl 2021 I S. 1006, Tz. 2.1.
[4] § 1 Abs. 2a GrEStG a. F.

2.6.2 Beteiligung einer Kapitalgesellschaft an der grundbesitzenden Personengesellschaft

Ist eine Kapitalgesellschaft an einer grundbesitzenden Personengesellschaft beteiligt, ist die Übergangsregelung des § 23 Abs. 19 Satz 2 GrEStG zu beachten, die sich auf § 1 Abs. 2a Satz 3 bis 5 GrEStG n. F. beschränkt.

Die Anwendungsregel stellt klar, dass für Änderungen im Gesellschafterbestand der (un)mittelbar an der grundbesitzenden Personengesellschaft beteiligten Kapitalgesellschaft rückwirkend die abgesenkte Beteiligungsgrenze von 90 % gilt. Es soll sichergestellt werden, dass der Gesellschafterwechsel auf Ebene der Kapitalgesellschaft nach der abgesenkten Beteiligungsgrenze des § 1 Abs. 2a Satz 4 GrEStG n. F. zu beurteilen ist. Dadurch kann eine (un)mittelbar beteiligte Kapitalgesellschaft rückwirkend als neue Gesellschafterin einzustufen sein (Fiktion) und damit ist die von ihr gehaltene Beteiligung bei der Ermittlung der auf neue Gesellschafter übergegangenen Anteile mitzuzählen. Diese Rechtsfolge ist verfassungsrechtlich unbedenklich, da es stets einer Vermögensdisposition nach Ablauf des 30.6.2021 bedarf, um den Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG n. F. zu verwirklichen.[1]

 
Praxis-Beispiel

Rückwirkender Wechsel von Alt- in Neugesellschafter bei Kapitalgesellschaften[2]

Am Vermögen der grundbesitzenden KG ist A zu 90 % und die Komplementär GmbH (GmbH) zu 10 % beteiligt. Am Kapital der GmbH ist A zu 90 % und B zu 10 % beteiligt. Im Jahr 2019 überträgt A seinen GmbH-Anteil auf C. Im August 2021 überträgt A 80 % der Anteile am Vermögen der KG auf D.

Der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG ist erfüllt, da innerhalb von 10 Jahren mindestens 90 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen (im August 2021: 80 % + im Jahr 2019: 10 %) auf den Neugesellschafter D und die (fiktiv neue) GmbH übergegangen sind.

Allein der unmittelbare Übergang von 80 % der Anteile am Vermögen der KG im August 2021 verwirklicht den Tatbestand des § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG nicht. Die Übergangsregelung führt jedoch dazu, dass die GmbH – rückwirkend betrachtet – nach § 1 Absatz 2a Satz 4 GrEStG als Neugesellschafterin der KG gilt,[3] weil aufgrund des Anteilsübergangs auf C im Jahr 2019 mindestens 90 % der Anteile am Kapital der GmbH auf Neugesellschafter übe...

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