Leitsatz

Stehen sich zwei Urteile in unvereinbarer Weise gegenüber, so ist die Wirkung der Rechtskraft, in Bezug auf einen bestimmten, unveränderten Sachverhalt Rechtsfrieden zu schaffen, aufgehoben. § 174 AO ist anwendbar.

 

Normenkette

§ 174 AO , § 110 FGO

 

Sachverhalt

Es ging um die Frage, ob die Verwertung von Sicherungsgut schon mit der Herausgabe des Konkursverwalters an den Gläubiger (1982) oder erst mit der Verwertung durch diesen (1983) eine Lieferung des Schuldners darstellt. Das FA meinte, es sei die Verwertung 1983.

Im Klageverfahren gegen den USt-Bescheid 1983 waren sich die Beteiligten einig, es sei die Herausgabe (1982) maßgebend. So stand es im rechtskräftigen Urteil betreffend USt-Bescheid 1983, das noch andere Streitpunkte behandelte. Entsprechend änderte das FA den USt-Bescheid 1982.

Den (1982) focht der Kläger an, es sei doch die Verwertung in 1983; das bestätigte der BFH und meinte, Treu und Glauben dürfe die zutreffende Besteuerung nicht hindern, und setzte die Steuer herab. Nun änderte das FA den Bescheid für 1983 nach § 174 AO. Das hielt der Kläger für unzulässig, weil für 1983 ein rechtskräftiges Urteil des FG vorliege.

 

Entscheidung

Der BFH entschied wie im Leitsatz wiedergegeben.

 

Hinweis

Das Problem zweier sich wiedersprechender Urteile wird zwar nicht häufig sein; das Problem sich widersprechender Verwaltungsakte ist wegen der Notwendigkeit, einen steuerrechtlich erheblichen Lebenssachverhalt einem bestimmten Besteuerungszeitraum zuzuordnen, im Steuerrechtsalltag geläufig – wie § 174 AO zeigt. Damit ist auch die Lösung vorprogrammiert.

§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO erlaubt für den Fall, dass aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 Satz 2 AO).

Irrige Beurteilung i.S.d. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO eines Sachverhalts bedeutet, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltskomplexes nachträglich – aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen – als unrichtig erweist. Fraglich war, ob § 110 FGO, der in bestimmten Grenzen die Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile anordnet, einer Änderung hindert.

Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Nach § 110 Abs. 2 FGO bleiben die Vorschriften der AO und anderer Steuergesetze über die Rücknahme, Widerruf, Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten unberührt, soweit sich aus Abs. 1 Satz 1 nichts anderes ergibt. Das ist auch dann der Fall, wenn sich zwei Urteile in unvereinbarer Weise gegenüberstehen. Denn die Rechtskraft dient – ebenso wie die als Folge des Ablaufs der Festsetzungsfrist eintretende Bestandskraft des Steuerbescheids – dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit.

Die Rechtskraftwirkung in dem in § 110 FGO umschriebenen Rahmen soll verhindern, dass die aus einem festgestellten Sachverhalt hergeleitete Rechtsfolge, über die durch ein Urteil rechtskräftig entschieden worden ist, erneut zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden kann. Diese Situation ist aber nicht gegeben, wenn zwei rechtskräftige Entscheidungen einander widersprechen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.3.2004, V R 23/02

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