Leitsatz

1. Für den rechtmäßigen Erlass eines Änderungsbescheids nach § 174 Abs. 4 AO reicht es aus, wenn die Änderungsvoraussetzungen, insbesondere die Aufhebung oder Änderung des anderen Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen, bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderungsbescheid vorliegen (Anschluss an BFH-Urteil vom 24.04.2008 – IV R 50/06, BFHE 220, 324, BStBl II 2009, 35).

2. Im Anwendungsbereich des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO ist zudem erforderlich, dass die (Fehler heilende) Einspruchsentscheidung innerhalb der Jahresfrist erlassen wird.

 

Normenkette

§ 174 Abs. 4, § 169, § 170 Abs. 2, § 171 Abs. 3a AO, § 13, § 4a, § 55 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin erbte von ihrem Großvater im Jahr 1942 erhebliches Grundvermögen. Hierzu gehörten u.a. die streitbefangenen Flurstücke 1, 2 und 3, die im Besitzstandsbogen für das landwirtschaftliche Vermögen zum 1.1.1964 als landwirtschaftliche Nutzfläche (Ackerland) gekennzeichnet und als Betrieb der LuF (Stückländerei) bewertet waren. 2007 veräußerte die Klägerin die drei vorgenannten Flurstücke. In der ESt-Erklärung für 2007 erklärte sie Einkünfte aus ­ihrem Forstbetrieb sowie Einkünfte aus VuV aus "Stückländereien, Erbbauzins". Steuerliche Folgen aus der Veräußerung der Flurstücke zog sie nicht.

Das FA veranlagte die Klägerin für 2007 erklärungsgemäß. Für das Streitjahr (2008) reichte sie die ESt-Erklärung am 26.11.2009 beim FA ein. Das FA veranlagte die Klägerin mit ESt-Bescheid vom 12.4.2010 ebenfalls erklärungsgemäß.

Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, dass die von der Klägerin veräußerten Flurstücke bis zur Veräußerung im Jahr 2007 zum landwirtschaftlichen Betriebsvermögen der Klägerin gehört hätten, und erfasste mit geändertem ESt-Bescheid für 2007 einen Veräußerungsgewinn.

Die Klägerin erhob hiergegen Einspruch und beantragte in der Folge beim FG AdV des angefochtenen Änderungsbescheids 2007.

Der AdV-Antrag hatte teilweise Erfolg. Das FG entschied mit Beschluss vom 15.8.2014, dass der Veräußerungsgewinn gemäß § 4a EStG je zur Hälfte im Jahr 2007 und im Jahr 2008 zu versteuern sei.

Daraufhin erließ das FA unter dem 15.9.2014 einen nach § 174 Abs. 4 AO geänderten ESt-Bescheid für das Streitjahr, in dem es den streitigen Veräußerungsgewinn zur Hälfte bei den Einkünften der Klägerin aus LuF ansetzte. Anschließend – mit Bescheid vom 17.9.2014 – berichtigte es die ESt-Festsetzung für 2007 zugunsten der Klägerin entsprechend.

Die gegen die Änderungsbescheide für 2007 und für das Streitjahr eingelegten Einsprüche wies das FA mit Einspruchsentscheidungen vom 18.11.2016 (für 2007) und vom 13.12.2016 (für das Streitjahr) zurück.

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wegen ESt 2007 war erfolglos. Die dagegen gerichtete Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der Senat als unbegründet zurückgewiesen.

Die Klage wegen ESt für das Streitjahr wies das FG ebenfalls ab. Das FA habe die angefochtene Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 4 AO ändern dürfen. Es sei unschädlich, dass das FA abweichend von der im Gesetz angelegten Reihenfolge den Änderungsbescheid für das Streitjahr schon vor der Änderung des Bescheids für 2007 erlassen habe. Denn nach der Rechtsprechung des BFH reiche es aus, wenn – wie im Streitfall – die Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen (hier für 2007) vor Erlass der Einspruchsentscheidung über den Einspruch gegen den angefochtenen (auf § 174 Abs. 4 AO gestützten) Änderungsbescheid (hier für das Streitjahr) erfolgt sei. Der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist für das Streitjahr mit Ablauf des Jahres 2013 stehe der Änderung des ESt-Bescheids für das Streitjahr nicht entgegen. Denn nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO sei der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen würden. Entsprechendes müsse gelten, wenn – wie im Streitfall – die steuerlichen Folgerungen schon zwei Tage vor der Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen worden seien. Deshalb könne dahinstehen, ob die Festsetzungsfrist im Streitfall gemäß § 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO fünf Jahre betrage. Ebenfalls zu Recht sei das FA davon ausgegangen, dass die Klägerin durch die Veräußerung der streitbefangenen Flurstücke einen nach § 13 EStG steuerbaren Gewinn erzielt habe (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 9.2.2018, 13 K 89/17, Haufe-Index 13215843, EFG 2019, 1255).

 

Entscheidung

Auf die Revision des FA hat der BFH die Vorentscheidung aus den in den Praxis-Hinweisen ausgeführten Gründen aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.

 

Hinweis

1. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass o...

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