Entscheidungsstichwort (Thema)

Beratungspflichten des Versicherungsvertreters bei der Vermittlung einer Rürup-Rente

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Vermittlung einer Rürup-Rente muss der Versicherungsvertreter den Versicherungsnehmer darüber aufklären, dass bei einem solchen Vertrag - anders als bei den meisten anderen privaten Rentenversicherungsverträgen - eine vorzeitige Auszahlung aus dem angesammelten Kapital nicht möglich ist.

2. Für einen 41-jährigen Versicherungsnehmer ist eine Rürup-Rente wegen der fehlenden Flexibilität unter Umständen kein geeignetes Produkt, wenn die wirtschaftliche Situation des Versicherungsnehmers am Beginn seiner Selbständigkeit mit vielen Unsicherheiten und offenen Fragen behaftet ist.

3. Liegt keine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation im Sinne von § 61 Abs. 1 Satz 2 VVG vor, muss der Versicherungsvertreter bei einer Schadensersatzklage des Versicherungsnehmers den Inhalt der von ihm behaupteten Beratung beweisen.

4. Legt der Versicherungsvertreter im Rechtsstreit eine schriftliche Beratungsdokumentation vor, muss er im Streitfall nachweisen, dass der Versicherungsnehmer diese Dokumentation vor Abschluss des Vertrages erhalten hat (§ 62 Abs. 1 VVG).

5. Der Versicherer haftet im Rahmen von § 6 Abs. 1, Abs. 5 VVG für Beratungsfehler des Versicherungsvermittlers gemeinsam mit diesem als Gesamtschuldner.

 

Normenkette

VVG § 6 Abs. 1, 5, § 61 Abs. 1, § 62 Abs. 1, § 63

 

Verfahrensgang

LG Offenburg (Aktenzeichen 2 O 610/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 21.06.2019 - 2 O 610/18 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 11.600,00 EUR zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 18.01.2019. Die Beklagte Ziffer 1 wird darüber hinaus verurteilt, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 11.600,00 EUR auch für die Zeit vom 21.11.2017 bis zum 17.01.2019 zu bezahlen.

2. Die Beklagte Ziffer 1 wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen in Höhe von 958,19 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2019.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung beim Abschluss eines Rentenvertrages (Rürup-Rente) im Jahr 2010. Die Beklagte Ziffer 1 ist der Versicherer (Vertragspartner des Klägers), der Beklagte Ziffer 2 hat das Zustandekommen des Versicherungsvertrages als damals für die Beklagte Ziffer 1 tätiger Versicherungsvertreter vermittelt.

Auf Antrag des Klägers kam es mit Übersendung des Versicherungsscheines vom 30.09.2010 durch die Beklagte Ziffer 1 an den Kläger zum Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages (vgl. den Versicherungsschein Anlage K 1). Versicherungsbeginn war der 01.10.2010. Es sollten Beiträge in Höhe von 200,00 EUR monatlich bis zum 01.10.2036 gezahlt werden. Zu diesem Zeitpunkt sollte die Zahlung einer lebenslangen Altersrente beginnen in Höhe von monatlich 261,80 EUR zuzüglich der bis dahin angesammelten Überschussanteile. In Höhe der Beiträge war eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung eingeschlossen. Es handelte sich um eine sogenannte Rürup-Rente, bei der aus steuerlichen Gründen ein Kapitalzugriff vor dem 01.10.2036 nicht möglich war. Der Vertrag sollte bis zum Beginn der Altersrente nicht kündbar sei; lediglich die Möglichkeit einer Beitragsfreistellung während der Vertragslaufzeit blieb vorbehalten.

Dem Abschluss des Vertrages waren Beratungsgespräche des Klägers mit dem Beklagten Ziffer 2 vorausgegangen. Bei welchem Gespräch was besprochen wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Insbesondere ist streitig, ob es einen Beratungstermin am 28.09.2010 gab (vgl. dazu die von der Beklagten Ziffer 1 vorgelegte "Erklärung zum elektronischen Antrag", die entsprechend datiert ist), oder ob der Vertrag ohne einen Beratungstermin an diesem Tag zustande kam. Der Kläger befand sich bei Abschluss des Vertrages mit der Beklagten Ziffer 1 am Ende eines Privatinsolvenzverfahrens. Er machte sich im Jahr 2010 selbstständig. Diese Umstände waren dem Beklagten Ziffer 2 bei der Vermittlung des Versicherungsvertrages bekannt.

Der Kläger zahlte in der Folgezeit die vereinbarten monatlichen Beiträge in Höhe von jeweils 200,00 EUR an die Beklagte Ziffer 1. Mit Schreiben vom 18.10.2015 (Anlage K 2) wandte sich der Kläger an die Beklagte Ziffer 1. Er sei bei Abschluss des Vertrages vom Beklagten Ziffer 2 falsch beraten worden, da dieser ihm nicht erklärt habe, dass er als Versicherungsnehmer bis zum Zeitpunkt des Rentenbeginns nie mehr an sein Geld kommen könne. Wenn er da...

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