Leitsatz

Erhebt der im Einspruchsverfahren hinzugezogene Elternteil Klage gegen die Übertragung des eigenen Kinderfreibetrags auf den anderen Elternteil, so ist dieser andere Elternteil notwendig beizuladen (Abgrenzung zum BFH, Beschluss vom 4.7.2001, VI B 301/98, BFHE 195, 50, BFH-PR 2001, 436; BStBl II 2001, 729).

 

Normenkette

§ 60 Abs. 3 Satz 1 FGO , § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO , § 123 Abs. 2 FGO , § 126 Abs. 3 Satz 2 FGO , § 32 Abs. 6 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger (Vater) und seine frühere Ehefrau (Mutter) sind Eltern einer gemeinsamen Tochter. Das FA hatte für die Streitjahre 1993 bis 1995 zunächst sowohl dem Vater als auch der Mutter den vollen Kinderfreibetrag für die Tochter zuerkannt. Anschließend änderte das FA die ESt-Bescheide der Mutter ab und ließ bei ihr jeweils den Kinderfreibetrag unberücksichtigt.

Gegen diese Änderungen legte die Mutter Einspruch ein. Das FA gelangte – unter Hinzuziehung des Klägers zum Einspruchsverfahren der Mutter – sodann zu der Auffassung, der Kläger habe den ihm zustehenden halben Kinderfreibetrag wirksam auf die Mutter übertragen und half deren Einspruch ab. Es hob gegenüber der Mutter die den Kinderfreibetrag versagenden ESt-Bescheide auf; dem Kläger wurde eine Entscheidung gleichen Inhalts erteilt.

Hiergegen erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, der Mutter jeweils nur den hälftigen Kinderfreibetrag zu gewähren. Das FG vertrat die Ansicht, die Mutter sei zu dem finanzgerichtlichen Verfahren nicht (notwendig) beizuladen.

In der Sache wies das FG die Klage des Vaters ab. Gegen das Urteil hat der Vater Revision eingelegt.

 

Entscheidung

Der BFH lud die Mutter – aus den in den o.a. Praxis-Hinweisen angegebenen Gründen – zu dem Revisionsverfahren (notwendig) bei. Die Beiladung sei zwingend; im Streit seien nicht die ESt-Bescheide des Vaters, sondern diejenige der Mutter, gegen die der Vater als Drittbetroffener geklagt habe.

Offen ist, wie sich die Mutter äußern wird (siehe oben Ziff. 4) bzw. ob der BFH durcherkennen kann (vgl. § 126 Abs. 2 bzw. Abs. 3 Nr. 1 FGO) oder – aufgrund von Einwendungen der Beigeladenen (Mutter) nach § 126 Abs. 3 Satz 2 FGO – zur Zurückverweisung der Sache gelangen wird.

 

Hinweis

1. Nach § 60 Abs. 3 FGO hat eine Beiladung (zwingend) dann zu erfolgen, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die gerichtliche Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung nach Maßgabe des materiellen Steuerrechts notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (vgl. hierzu BFH, Beschluss vom 4.7.2001, VI B 301/98, BFH-PR 2001, 436).

2. Die notwendige Beiladung soll sicherstellen, dass eine Sachentscheidung, die die Rechte eines Dritten in der vorbezeichneten Weise betrifft und aus diesem Grund auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann, nicht ohne Beteiligung dieses Dritten erlassen wird (siehe auch BFH, Beschlüsse vom 12.1.2001, VI R 49/98, BFH-PR 2001, 203; vom 27.2.2003, V B 131/01, BFH-PR 2003, 308).

3. Im Streitfall hatte das FG die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung verneint. Es berief sich dabei – zu Unrecht – auf den o.a. BFH-Beschluss in BFH-PR 2001, 436. In diesem Beschluss hatte der BFH entschieden, dass bei Streit um die Übertragung eines Kinderfreibetrags vom einen auf den anderen Elternteil i.d.R. kein Fall der notwendigen Beiladung vorliegt. Vielmehr seien regelmäßig (nur) die Voraussetzungen einer widerstreitenden Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 AO gegeben. Das FG hatte allerdings verkannt, dass sich diese Rechtsprechung (nur) auf solche Fallgestaltungen bezieht, in denen der klagende Elternteil vom FA die Berücksichtigung des Freibetrags bei seiner eigenen Veranlagung verlangt.

Eine solche Fallgestaltung lag im Streitfall jedoch nicht vor. Hier begehrte der klagende Elternteil (Vater), die vom FA ausgesprochene Zuordnung des Freibetrags zum anderen Elternteil (Mutter) bei deren Veranlagung wieder rückgängig zu machen. Das heißt, Streitgegenstand war nicht die eigene Steuerveranlagung des Vaters, sondern diejenige der Mutter, also eine fremde Steuerveranlagung. In einem solchen Fall kann kein Zweifel bestehen, dass die Mutter zu dem Verfahren als unmittelbar Betroffene ihrer eigenen Veranlagung notwendig beizuladen ist.

4. Beachten Sie bitte noch Folgendes: Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung durch das FG ist ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der bis Ende 2000 stets zur Zurückverweisung der Sache führte. Seit 2001 kann der BFH jedoch eine unterlassene Beiladung nach seinem Ermessen im Revisionsverfahren selbst nachholen (§ 123 Abs. 1 Satz 2 FGO). Die Vorschrift dient der Verfahrensökonomie; unnötige Zurückverweisungen sollen vermieden werden. Ein solcher Fall ist insbesondere dann gegeben, wenn weitere Sachverhaltsermittlungen nicht mehr erforderlich erscheinen.

Holt der BFH eine unterlassene notwendige Beiladung nach, so kann der Beigelade...

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