Übertragung des Kinderfreibetrags

Bei einer funktionierenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann im Hinblick auf die Übertragung des Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen zwischen den Elternteilen für im Haushalt lebende minderjährige Kinder (in Form von Natural-, Bar- und Betreuungsunterhalt) dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht.

Hintergrund: Übertragung der Kinderfreibeträge

Streitig war für 2015 bis 2017, ob – neben den der Mutter (M) zustehenden Kinderfreibeträgen – die auf den Vater (V) entfallendenr Kinderfreibeträge auf M übertragen werden können.

M und V lebten in nichtehelicher Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Haushalt mit ihren beiden Kindern (geb. 1998 und 2001).

M erzielte Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit sowie aus Vermietung und Verpachtung (Gesamtbetrag der Einkünfte zwischen 72.000 EUR und 77.000 EUR). V erzielte (nach dem vorgelegten ESt-Bescheid 2016) lediglich rund 10.000 EUR (Verluste aus Gewerbebetrieb und nichtselbstständiger Arbeit, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung 12.000 EUR).

Das FA lehnte die Übertragung der Freibeträge für die Zeit der Minderjährigkeit der Kinder ab. V habe während dieses Zeitraums Betreuungsunterhalt geleistet und damit seine Unterhaltspflicht nicht verletzt. Erst ab Volljährigkeit des Sohnes (in 2016) sei V zum Barunterhalt verpflichtet gewesen (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB). Da er den nicht geleistet habe, übertrug das FA den Freibetrag für den Sohn für 2016 anteilig (zu 10/12) und für 2017 in voller Höhe. Im Streit war daher lediglich noch die Zeit der Minderjährigkeit der Kinder. Das FG wies – dem FA folgend – die Klage der M gegen die Ablehnung der Übertragung der Freibeträge des V für die minderjährigen Kinder ab.

Entscheidung: Erfüllung der Unterhaltspflicht durch Betreuung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für die Übertragung der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG liegen nicht vor. Denn V ist seiner Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern durch Betreuungsleistungen nachgekommen.

Unterhaltspflicht nach bürgerlichem Recht

Der Kinderfreibetrag kann auf Antrag eines Elternteils auf ihn übertragen werden, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind im Wesentlichen nachkommt (oder der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist, § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG). Der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, erfüllt seine Unterhaltsverpflichtung in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB). Der andere, nicht betreuende Elternteil gewährt den Unterhalt durch Zahlung einer Geldrente (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB; BFH v. 15.06.2016, III R 18/15, BStBl II 2016, 893).

Die gesetzliche Regelung geht somit davon aus, dass ein Elternteil das minderjährige Kind betreut und versorgt während der andere die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt (BGH v. 12.3.2014, XII ZB 234/13, NJW 2014, 1958).  

Aufteilung der Unterhaltsleistungen unter den Sorgeberechtigten

Der Unterhaltsanspruch umfasst im Wesentlichen Wohnung, Verpflegung, Kleidung, Betreuung, Bildung, Erholung, Gesundheits- und Krankheitsfürsorge. Die Frage, wie die Eltern die unterschiedlichen Bedarfe untereinander aufteilen, ist eine Frage des elterlichen Sorgerechts. Da für nicht miteinander verheiratete Eltern die Vorschriften über den Familienunterhalt (§§ 1360 ff. BGB) nicht anwendbar sind, regeln die Eltern ihre Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern grundsätzlich durch Absprache oder tatsächliche Handhabung.

Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht.

Erfüllung der Unterhaltspflicht

Hiervon ausgehend ist V seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen. § 32 Abs. 6 Satz 6 Alt. 1 EStG (Verletzung der Unterhaltpflicht) ist nicht gegeben. Auch wenn V deutlich geringere Einkünfte erzielte als M, war er verpflichtet, daraus Barunterhalt (Naturalunterhalt) an die Kinder zu leisten (BGH v. 15.2.2017, XII ZB 201/16, FamRZ 2017, 711). Dies gilt jedenfalls insoweit, als er nicht außerstande war, dies ohne Gefährdung seines (eigenen) Unterhalts zu tun. Im Streitfall ist davon auszugehen, dass V dieser materiellen Unterhaltspflicht genügt hat.

Die Unterhaltspflicht des V umfasst zum anderen eine Pflicht zum Betreuungsunterhalt. Dieser Verpflichtung hat V ebenfalls genügt. Nach den Feststellungen des FG ist er seiner Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder in vollem Umfang nachgekommen ist.

Keine mangelnde Leistungsfähigkeit des V

Aber auch, wenn V in materieller Hinsicht nicht unterhaltspflichtig gewesen sein mag, war er jedenfalls im Hinblick auf den Betreuungsunterhalt leistungsfähig, da er diesen in vollem Umfang geleistet hat. Der von V erbrachte Betreuungsunterhalt ist nicht zu monetarisieren und (ergänzt um etwaige Naturalleistungen) nicht in das Verhältnis zu den von M erbrachten Natural- und Betreuungsunterhaltsbeiträgen zu setzen. Vielmehr ist bei einer funktionsfähigen nichtehelichen Lebensgemeinschaft davon auszugehen, dass die Verteilung der Unterhaltsaufgaben dem gemeinsamen Willen der Elternteile entspricht. V war daher auch für den Fall, dass er nur betreut haben sollte, leistungsfähig und unterhaltspflichtig i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 EStG.

Hinweis: Erfüllung der Unterhaltsverpflichtung

Der BFH stellt klar, dass bei der Frage, ob der andere Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind im Wesentlichen nachkommt, nicht darauf abzustellen ist, ob und in welchem Umfang er zum gemeinsamen Haushaltseinkommen beiträgt. Vielmehr ist auch der immaterielle Bedarf zu berücksichtigen (Betreuung, Erziehung usw.). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Verteilung der Unterhaltsleistungen dem Willen der Eltern entspricht.

Damit sind die beiderseitigen Leistungen nicht gegeneinander abzuwägen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass jeder seiner Unterhaltspflicht im Rahmen der beiderseitigen Absprache oder Handhabung im Wesentlichen nachkommt. Eine fehlende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 EStG kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass ein Elternteil ein im gemeinsamen Haushalt lebendes minderjähriges Kind überwiegend betreut und keine oder nur geringe Beiträge zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet.

BFH Urteil vom 15.12.2021 - III R 24/20 (veröffentlicht am 31.03.2022)

Alle am 31.03.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen.

Schlagworte zum Thema:  Kinderfreibetrag, Lebenspartner, Unterhalt