Die sog. Wegzugsbesteuerung wurde 1972 eingeführt, um die in Gesellschaftsanteilen enthaltenen stillen Reserven bei Wegzug eines Gesellschafters ins Ausland der deutschen Besteuerung zu unterwerfen. Dadurch konnten die bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), die gem. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA eine Besteuerung der Veräußerungsgewinne im Wohnsitzstaat (folglich dem Wegzugstaat) vorsehen, unterlaufen werden (Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen [AStG 1972], v. 8.9.1972, BGBl. I 1972, 1713). Dafür fingiert § 6 AStG bis heute im Zeitpunkt der Verwirklichung eines Wegzugsteuertatbestands i.S.d. Abs. 1 eine Veräußerung ("stehen [...] der Veräußerung von Anteilen [...] zum gemeinen Wert gleich"). Dieser "Veräußerungsgewinn" unterliegt dann der Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren gem. §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG.
Aufgrund der Rspr. des EuGH, der in der Entscheidung de Lasteyrie du Saillant (EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138, DB 2004, 686) in Bezug auf eine vergleichbare französische Norm einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV feststellte, sowie der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland hinsichtlich § 6 AStG kam es zum 1.1.2007 zu einer Neufassung der Norm. Um EU-Rechtskonformität sicherzustellen, sah der damals neue § 6 AStG (a.F.) für den Fall des Wegzugs im EU-/EWR-Raum in § 6 Abs. 5 Satz 1 bis 3 AStG a.F. eine dauerhafte und zinslose Stundung ohne Erfordernis einer Sicherheitsleistung vor, wenn der Stpfl. im Zuzugsstaat einer der deutschen Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt und der Zuzugsstaat Amts- und Betreibungshilfe gewährt.
In dem dem Besprechungsfall zugrunde liegenden Sachverhalt verzog der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, der zu 50 % an einer GmbH mit Sitz in der Schweiz beteiligt war, im März 2011 in die Schweiz, wo er seitdem wohnhaft ist. Das beklagte FA setzte daraufhin i.R.d. Einkommensteuer den in Folge des Wegzugs entstandenen steuerpflichtigen fiktiven Veräußerungsgewinn gem. § 6 Abs. 1 AStG a.F. ohne Möglichkeit einer dauerhaften und zinslosen Stundung fest. Unter Berufung auf das sog. Freizügigkeitsabkommen zwischen den EU-Staaten und der Schweiz (nachfolgend: FZA) begehrte der Kläger, nach zwischenzeitlicher Zahlung der Wegzugsteuer, die Nichtfestsetzung der Wegzugsteuer.
Im Rahmen des Klageverfahrens richtete das angerufene FG Baden-Württemberg ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH mit der Frage, ob die Wegzugsbesteuerung ohne Stundungsmöglichkeit bei einem Wegzug in die Schweiz gegen EU-Recht verstößt (FG Baden-Württemberg v. 14.6.2017 – 2 K 2413/15, EFG 2018, 18 = ISR 2018, 16 [Schlücke]). Dieses Vorabentscheidungsersuchen entschied der EuGH mit Urteil vom 26.2.2019 (EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17 – Wächtler, ECLI:EU:C:2019:138 = EStB 2019, 117 [Weiss]) dahingehend, dass die im deutschen Recht fehlende Möglichkeit einer dauerhaften und zinslosen Stundung der Wegzugsteuer bis zur Veräußerung der betreffenden Gesellschaftsanteile im Falle eines Wegzugs in die Schweiz den Bestimmungen des FZA entgegenstehen.
In Reaktion auf dieses EuGH-Urteil veröffentlichte das BMF am 13.11.2019 ein BMF-Schreiben, in dem es unter Bezugnahme auf die Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder darlegt, dass bis zu einer gesetzlichen Änderung § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG a.F., der auf Antrag eine verzinsliche Stundung in fünf gleichen Jahresraten gegen Sicherheitsleistung dann vorsah, wenn die alsbaldige Einziehung mit erheblichen Härten für den Stpfl. verbunden wäre, im Falle eines Wegzugs in die Schweiz dahingehend anzuwenden ist, dass es auf eine erhebliche Härte bei alsbaldiger Einziehung nicht ankommt und auf eine Sicherheitsleistung verzichtet werden kann, es sei denn, der Steueranspruch erscheint – z.B. mangels Betreibungshilfe – gefährdet (BMF v. 13.11.2019 – IV B 5 - S 1325/18/10001 :001, BStBl. I 2019, 1212).
Daneben sah sich ausweislich der Gesetzesbegründung auch der Gesetzgeber aufgrund der Wächtler-Entscheidung vor der gesetzgeberischen Entscheidung, entweder die dauerhafte zinslose Stundung auf sämtliche Drittstaaten und damit auch auf die Schweiz zu erweitern oder diese für sämtliche Wegzugstaaten und damit auch für Wegzüge in den EU-/EWR-Raum zu streichen. Er entschied sich entgegen der eindeutigen Aussagen des EuGH in der Wächtler-Entscheidung aus steuerpolitischen Gründen dazu, die seines Erachtens "unionsrechtlich nicht gebotene Differenzierung zwischen Wegzügen in Drittstaaten sowie EU-/EWR-Wegzügen" durch Streichung der dauerhaften zinslosen Stundung in EU-/EWR-Fällen aufzugeben und stattdessen eine ratierliche Stundung für alle Wegzugsfälle vorzusehen, sog. One-Fits-All-Lösung (BR-Drucks. 245/21, 52 f. unter Bezugnahme auf die Urteile EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12 – DMC, ECLI:EU:C:2014:20 und EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13 – Verder LabTec, ECLI:EU:C:2015:331, GmbH...