1 Systematische Einordnung

Sowohl nach nationalem Recht als auch nach EU-Recht und nach DBA-Recht sollen besondere Gestaltungen, die als missbräuchlich eingestuft werden, nicht zu steuerlichen Vorteilen führen. Problematisch ist, dass der Stpfl. grundsätzlich das Recht hat, seine Verhältnisse so zu gestalten, dass die Steuerlast minimiert oder vermieden wird. Eine Gestaltung, die zu einer niedrigeren Steuerbelastung führt, ist daher allein deswegen nicht missbräuchlich.[1] Deshalb müssen diese Gestaltungen eine besonders missbilligte Komponente enthalten, um sie als Missbrauch einstufen zu können. Die dabei verwendeten Maßstäbe sind unterschiedlich. Sie reichen von der Beanstandung rein künstlicher Gestaltungen ohne wirtschaftliches Gewicht bis zu Gestaltungen, die nur oder auch aus steuerlichen Gründen gewählt werden und einen vom Gesetz nicht beabsichtigten Steuervorteil verursachen. Die Entwicklung entsprechender Tatbestandsmerkmale wird dadurch erschwert, dass der Vorwurf des Missbrauchs ein subjektives Element enthält, das nur aufgrund von Indizien festgestellt werden kann.

Die Bekämpfung von Missbrauch kann durch besondere gesetzliche Regeln erfolgen, wie z. B. § 42 AO (Außentheorie), oder im Rahmen der Auslegung eines Besteuerungstatbestandes, wobei eine steuerliche Vergünstigung nur geltend gemacht werden kann, wenn sie dem Zweck des Gesetzes entspricht (Innentheorie). Zusammenfassend kann man sagen, dass sich der Begriff des Missbrauchs einer klaren und einheitlichen Definition entzieht. Es handelt sich um einen Typusbegriff, bei dem nur aufgrund einer rechtlichen Bewertung für einzelne Fallgruppen, und damit letztlich im Einzelfall, entschieden werden kann, ob eine Gestaltung missbräuchlich ist oder nicht.

2 Inhalt

2.1 Nationale Missbrauchsregelungen

Das nationale Recht enthält in § 42 AO eine allgemeine Norm zur Verhinderung des Missbrauchs. Missbrauch liegt danach vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die bei einem Stpfl. oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Der Stpfl. kann jedoch nachweisen, dass für die gewählte Gestaltung gewichtige außersteuerliche Gründe maßgebend waren. Rechtsfolge bei Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung ist, dass die Steuer so entsteht, wie sie bei einer angemessenen Gestaltung entstanden wäre.

Neben dieser allgemeinen Missbrauchsregelung enthält das deutsche Recht noch besondere Vorschriften zur Bekämpfung von Missbrauch. Beispiel ist § 50d Abs. 3 EStG (Treaty Shopping), aber auch die Regelungen über Zwischengesellschaften, §§ 7ff. AStG.[1] Problematisch ist das Verhältnis zwischen allgemeiner und besonderer Missbrauchsvorschrift.[2] So kann argumentiert werden, dass bei einem Problemkreis, der durch eine besondere Missbrauchsvorschrift geregelt ist, kein Missbrauch vorliegen könne, wenn der Tatbestand der besonderen Missbrauchsvorschrift die fragliche Gestaltung nicht erfasst. § 42 Abs. 1 S. 3 AO bestimmt jedoch, dass der Vorgang in einem solchen Fall noch nach der allgemeinen Missbrauchsvorschrift beurteilt werden kann. Entsprechend bestimmt § 50d Abs. 3 S. 3 EStG, dass § 42 AO neben § 50d Abs. 3 EStG anwendbar bleibt.

[1] Vgl. Stichworte "Treaty Shopping" und "Zwischengesellschaft".
[2] Hierzu etwa BFH v. 19.12.2007, I R 21/07, BStBl II 2008, 619, BFH/NV 2008, 1049.

2.2 EU-Missbrauchsregelungen

EU-rechtlich enthält der AEUV keine allgemeine Vorschrift zur Verhinderung von Missbräuchen. Solche Regeln sind jedoch in Richtlinien enthalten, gelten dann aber nur für den Bereich der jeweiligen Richtlinie. Nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der Fusionsrichtlinie[1] ist die Steuerfreiheit einer Umwandlung ganz oder teilweise zu versagen, wenn der hauptsächliche oder einer der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung ist. Das ist der Fall, wenn der Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen, insbesondere der Umstrukturierung oder Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften, besteht.

Nach Art. 1 Abs. 2-4 der Mutter-Tochter-Richtlinie[2] werden die Vorteile der Richtlinie nicht gewährt, wenn eine unangemessene Gestaltung oder eine unangemessene Abfolge von Gestaltungen vorliegt, deren wesentlicher Zweck oder einer der wesentlichen Zwecke darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, der dem Ziel oder Zweck der Richtlinie zuwiderläuft. Das ist der Fall, wenn die Gestaltung nicht aus triftigen wirtschaftlichen Gründen vorgenommen wurde, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln. Zusätzlich sind die nationalen Vorschriften zur Verhinderung von Missbräuchen anzuwenden.

Eine vergleichbare Regelung ist in Art. 5 der Zins- und Lizenzrichtlinie enthalten.[3]

Eine allgemeine Vorschrift zur Verhinderung von Missbräuchen enthält Art. 6 ATAD I.[4]

Missbrauch liegt danach vor, wenn eine unangemessene Gestaltung oder eine unangemessene Abfolge von Gestaltungen vorgenommen wird, deren wesentlicher Zweck oder einer der wesentlichen Zwecke darin besteht, einen ste...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge