Rn. 45

Stand: EL 166 – ET: 08/2023

Kumulation allgemeiner und spezieller Missbrauchskontrolle: Bei der erstmaligen Wahl des Abschlussstichtages durch die im HR eingetragenen gewerblichen Unternehmen bejaht die Rspr eine Einschränkung der Wahlrechtsfreiheit durch die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO, wenn die erstmalige Wahl eines vom Kj abweichenden Abschlussstichtages ausschließlich steuerlich motiviert ist (zB BFH v 16.12.2003, VIII R 89/02, BFH/NV 2004, 936). Die einschlägige Rspr ist allerdings insoweit nicht bedenkensfrei, als der Gesetzgeber in § 4a Abs 1 S 2 Nr 2 S 2 EStG eigens eine spezielle Missbrauchsschranke vorgesehen hat (s Rn 50) und der bereits mit Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes (BT-Drs 7/1470 v 09.01.1974, 19) eingebrachte Vorschlag, über die Umstellung auf ein abweichendes Wj hinaus auch die initiale Wahl eines vom Kj abweichenden Wj bei Betriebseröffnung vom Vorliegen wichtiger betrieblicher Gründe und von der Zustimmung des FA abhängig zu machen, nicht umgesetzt worden ist (so Schiffers in Korn, § 4a EStG Rz 29.1 (August 2018)). Die Gesetzesbegründung führte vielmehr aus, dass der Entwurf insoweit "eine Einschränkung" der Wj-Wahlrechtsfreiheit bedeutet hätte (BT-Drs 7/1470 v 09.01.1974, 244), was unzutreffend wäre, wenn bereits § 42 AO insoweit einrückt.

Nach Rspr des I. Senats des BFH schließt eine spezielle Missbrauchsnorm die Anwendung des § 42 AO auch dann aus, wenn im Einzelfall nicht alle ihre Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (BFH v 19.01.2000, I R 94/97, BStBl II 2001, 222; BFH v 19.01.2000, I R 117/97, HFR 2000, 553; BFH v 20.03.2002, I R 63/99, BStBl II 2003, 50; BFH v 29.01.2008, I R 26/06, BStBl II 2008, 978); die Wertung spezieller Missbrauchsnorm wirkt abschirmend gegenüber § 42 AO, etwaig bestehende Schutzlücken sind grundsätzlich innerhalb der speziellen Missbrauchsnorm, nicht durch ergänzende Anwendung des § 42 AO zu schließen (ausführlich Hahn, DStZ 2008, 483, 486 ff).

Hierauf hat der Gesetzgeber zwar mit der Neufassung des § 42 AO durch das JStG 2008 (BGBl 2007, 3150) reagiert, die Diskussion um das Konkurrenzverhältnis der allgemeinen zu speziellen Missbrauchsnormen damit allerdings nicht beendet. § 42 Abs 1 S 2 AO regelt seither, dass wenn der Tatbestand einer einzelsteuergesetzlichen Regelung erfüllt ist, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, sich die Rechtsfolgen (ausschließlich) nach dieser speziellen Vorschrift bestimmen (vgl auch BFH 23.04.2021, IX R 8/20, BStBl II 2021, 743 zu § 23 EStG). Ist der Tatbestand der speziellen Norm nicht erfüllt ("anderenfalls"), soll nach § 42 Abs 1 S 3 AO stets § 42 Abs 2 AO zur Anwendung kommen. In diesem Fall bestimme sich das Vorliegen eines Missbrauchs allein nach den Voraussetzungen des § 42 Abs 2 AO (BT-Drs 16/6290, 81; BT-Drs 16/7036, 24).

Auch die FinVerw vertritt, allein das Vorliegen einer einzelgesetzlichen Regelung, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, schließe die Anwendbarkeit des § 42 Abs 1 S 2 iVm Abs 2 AO nicht aus (AEAO zu § 42 Nr 1 AO). Bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs iSd § 42 Abs 2 AO sind gleichwohl diejenigen Wertungen des Gesetzgebers, die den einzelsteuergesetzlichen Vorschriften zur Verhinderung von Steuerumgehungen zugrunde liegen, zu berücksichtigen (Wertungsvorgabe einzelsteuerlicher Missbrauchsvorschriften, BFH v 17.11.2020, I R 2/18, BStBl II 2021, 580). Nach dieser Grundwertung kommt für Fälle, die vom Tatbestand einer spezialgesetzlichen Missbrauchsnorm gerade nicht erfasst werden – wie nach dem Gesetzgebungsverfahren zum Dritten Steuerreformgesetz explizit das initiale Wj-Wahlrecht buchführender Gewerbetreibender – und nach dem Sinn dieser Sonderregelung auch steuerrechtlich nicht erfasst werden sollen, die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs iSd § 42 Abs 2 AO nach wie vor nicht in Betracht. Mit der erfolgten tatbestandlichen Abgrenzung konkreter (potenzieller) Missbrauchsfälle fehlt für andere, gerade nicht als solche erfasste Fälle eine Grundlage für die Einordnung als missbräuchlich (allgemein Stöber in Gosch, § 42 AO Rz 54 mwN (März 2021); Baum, eKommentar, § 42 AO Rz 31 (Dezember 2021); Druen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz 32f (September 2022)). Anders ist dies dann zu sehen, wenn die spezielle Missbrauchsnorm ihrerseits durch eine missbräuchliche Gestaltung umgangen wird; in einem solchen Fall bleibt es nach § 42 Abs 1 S 3 AO bei der Anwendbarkeit der allgemeinen Missbrauchsvorschrift (Stöber in Gosch, § 42 AO Rz 54 mwN (März 2021)). Bei der erstmaligen Wahl eines abweichenden Wj ist dies fraglos aber nicht der Fall.

 

Rn. 46

Stand: EL 166 – ET: 08/2023

Der – berechtigte oder unberechtigte – Missbrauchsverdacht des Fiskus richtet sich im Zusammenhang mit der Wahl des Wj insbesondere gegen die Einvernahme einer sog "Steuerpause". Dabei wird durch Wahl des Wj ein "an sich" bereits bezogener Gewinn erst in einem späteren – regelmäßig dem nachfolgenden – Wj versteuert. Dieser Effekt kann durch Wahl eines vom Kj abweichenden Wj eintreten, ...

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