Rn. 143

Stand: EL 155 – ET: 12/2021

Gegen die Verfassungsmäßigkeit des Familienleistungsausgleichs werden im Hinblick auf folgende Aspekte Bedenken erhoben:

1. Verletzung der Rechtsklarheit durch die Vermengung von Fiskal- und Sozialzwecken?

 

Rn. 144

Stand: EL 155 – ET: 12/2021

Die "Verortung" des Kindergeldes als "typischer Sozialleistung" im Regelungszusammenhang des EStG sei systemfremd (vgl Jachmann in K/S/M, § 31 EStG Rz A 9 (März 2004)) und beinhalte eine problematische Verbindung von Sozialrecht und Steuerrecht (vgl Loschelder in Schmidt, § 31 EStG Rz 4 (40. Aufl); Hey in Tipke/lang, Steuerrecht 23. Aufl, § 8 Rz 95 mwN; Jachmann, BB 2008, 591).

 

Rn. 145

Stand: EL 155 – ET: 12/2021

Der Gesetzgeber hat iRd steuerlichen Familienleistungsausgleichs das Kindergeld insoweit als Sozialleistung ausgestaltet, als es die Höhe der gebotenen steuerlichen Entlastung durch die Freibeträge des § 32 Abs 6 EStG überschreitet. Insoweit beinhaltet die Regelung über das Kindergeld nach dem X. Abschnitt eine Sozialzwecknorm, gegen deren Einfügung in das EStG im Hinblick auf das aus Art 6 Abs 1 GG abgeleitete Fördergebot keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, vgl BFH v 26.02.2002, VIII R 92/98, BStBl II 2002, 596. Im Übrigen hat das BVerfG es als zulässig angesehen, dass die gebotene steuerliche Entlastung durch eine Kombination von Kinderfreibeträgen und Kindergeld erfolgt; Beschluss des BVerfG v 11.01.2005, 2 BvR 167/02, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260.

Das BVerfG hat allerdings in seiner Entscheidung zu § 1612b BGB darauf hingewiesen, dass die das Kindergeld betreffenden Regelungen in ihrer sozial-, steuer- und familienrechtlichen Verflechtung "immer weniger" dem Grundsatz der Normenklarheit genügten, BVerfG v 09.04.2003, 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01, NJW 2003, 2733; vgl aber 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG v 14.07.2011, 1 BvR 932/10, NJW 2011, 3215 zu der Verfassungsmäßigkeit der Neufassung des § 1612b BGB im Hinblick auf die durch BVerfG 09.04.2003, 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 geäußerte Kritik mangelnder Normenklarheit.

2. Verstoß gegen das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit?

 

Rn. 146

Stand: EL 155 – ET: 12/2021

Der steuerliche Familienleistungsausgleich nach dem JStG 1996 soll deshalb gegen das aus Art 3 Abs 1 GG abgeleitete Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verstoßen, weil für die große Mehrheit der StPfl mit Kindern durch übermäßige Besteuerung soziale Bedürftigkeit herbeigeführt werde und dann Kindergeld als Sozialleistung gewährt werde, Loschelder in Schmidt, § 31 EStG Rz 4 (40. Aufl).

 

Rn. 147

Stand: EL 155 – ET: 12/2021

Ein Verstoß gegen das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist nicht gegeben, Wendl in H/H/R, § 31 EStG Rz 10 (Juni 2019) mwN. Ein Ausgleich der durch übermäßige Besteuerung herbeigeführten Bedürftigkeit durch eine Sozialleistung – Kindergeld – findet nicht statt. Das als Steuervergütung in die Steuererhebung eingebundene Kindergeld stellt, soweit es der Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern dient, keine Sozialleistung dar.

 

Rn. 148

Stand: EL 155 – ET: 12/2021

Bei der Mehrzahl der StPfl mit Kindern, allerdings nicht bei allen, findet deshalb per Saldo infolge der monatlich erfolgenden Zahlung des Kindergelds keine zu hohe Besteuerung statt. Bei denjenigen StPfl mit hohen Einkommen, bei denen das Kindergeld nicht die gebotene steuerliche Entlastung in Höhe der Freibeträge nach § 32 Abs 6 EStG bewirkt, findet zwar während des VZ eine zu hohe Besteuerung statt, diese wird jedoch durch die bei der Veranlagung von Amts wegen durchzuführende Vergleichsrechnung und die Gewährung der Freibeträge des § 32 Abs 6 EStG ausgeglichen. Dies hat das BVerfG zutreffend verfassungsrechtlich nicht beanstandet, BVerfG v 06.05.2004, 2 BvR 1375/03, HFR 2004, 692.

 

Rn. 149

Stand: EL 155 – ET: 12/2021

Entsprechend dem Charakter der ESt als Jahressteuer bestehen dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl Jachmann in K/S/M, § 31 EStG Rz A 49 (März 2004)). Soweit diese Gruppe der StPfl durch die Nichtberücksichtigung von Kinderfreibeträgen im LSt-Abzugsverfahren und bei der Festsetzung der ESt-Vorauszahlungen Zinsnachteile erleidet, sind diese zu vernachlässigen (BFH v 26.02.2002, VIII R 92/98, BStBl II 2002, 596).

3. Verstoß gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung?

 

Rn. 150

Stand: EL 155 – ET: 12/2021

Dieser Verstoß soll darin zu sehen sein, dass der Familienleistungsausgleich – bei der Höhe der Kinderfreibeträge – lediglich den sozialhilferechtlichen Mindestbedarf, nicht aber die Aufwendungen entsprechend der bürgerlich rechtlichen Unterhaltsverpflichtungen berücksichtigt (vgl Söhn in FS Klein (1994), 421; Lang in FS Klein (1994), 437; Lieber, DStZ 1997, 207; Kulmsee, DStZ 1998, 14).

 

Rn. 151

Stand: EL 155 – ET: 12/2021

Diese gegen die Höhe der Kinderfreibeträge gerichteten Bedenken treffen auf das Kindergeld nach dem X. Abschn nicht zu. Für dessen Höhe gelten nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben wie für die Kinderfreibeträge (vgl Jachmann in K/S/M, § 31 EStG Rz 51 (März 2004)).

Dem Gesetzgeber kommt vielmehr bei der Ausfüllung des aus Art 6 Abs 1 GG abgeleiteten Familienförderungsgebots auch hinsichtlich der Höhe des Kindergeldes ein...

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