Rn. 11

Stand: EL 171 – ET: 02/2024

Das BVerfG vom 27.06.1991, BStBl II 1991, 654, dem ein Fall aus dem Jahre 1981 zugrunde lag, sah ein erhebliches Vollzugsdefizit im Bereich der Besteuerung von Kapitaleinkünften und stellte eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG fest. Gleichzeitig g ewährte es dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31.12.1992, um sich auf die geklärte verfassungsrechtliche Lage einzustellen. Ansonsten werde die materielle Norm verfassungswidrig. Die Ursache dieses Vollzugsdefizits sei in dem Bankenerlass von 1949 (dazu s DStZ/B 1949, 242) bzw von 1979 (BStBl I 1979, 590) zu sehen, in dem die Grundsätze der Ermittlung der FinVerw bei Banken wegen Steuerhinterziehung festgelegt wurden. Die FinVerw verzichtete damit auf die Möglichkeit, Informationen über den Bestand und das Guthaben von Konten einzufordern. Die Möglichkeiten der FinVerw, die Besteuerung von Kapitaleinkünften zu prüfen, war somit erheblich eingeschränkt. Dadurch bedingt konnten sich StPfl, die ihre KapErtr nicht rechtmäßig einer Besteuerung unterzogen haben, in Sicherheit fühlen. Durch das StRefG 1990 vom 25.07.1988, BGBl I 1988, 224 wurde zudem mit Wirkung ab dem 03.08.1988 der Bankenerlass in § 30a AO übernommen.

Auch die Entwicklung der KapSt spiele bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit eine große Rolle. Bereits das KapStG 1920 enthielt eine 10 %ige Quellensteuer auf Aktien- und Dividendenausschüttungen sowie auf Wertpapierzinsen und sonstigen Erträge. Mit dem EStG 1925 kam es zu einer Anrechnung der Quellensteuer auf die ESt. Durch das StRefG 1990 vom 25.07.1988 wurde eine 10 %ige KapSt auf Zinserträge aus Wertpapieren, Hypotheken und Grundschulden und Kapitalanlagen eingeführt; vgl auch Ausführungen von Bitz (s vor § 1 Rn 78 (Bitz)). Nach erheblicher Kritik wurde mit Gesetz vom 30.06.1989 (dazu s vor § 1 Rn 84 (Bitz)), die Quellenbesteuerung bei den Zinserträgen wieder aufgehoben. Im Ergebnis waren die Zinserträge erst im Veranlagungsverfahren zu berücksichtigen. Mit der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit durch die FinVerw deklarierten nur die "dummen" StPfl ihre Kapitaleinkünfte.

Der Gesetzgeber reagierte auf das Urteil des BVerfG vom 27.06.1991 mit dem Zinsabschlaggesetz vom 09.11.1992, s Rn 10 und s vor § 1 Rn 104 (Bitz). Der Sparerfreibetrag von DM 600 bzw DM 1 200 für zusammenveranlagte Ehegatten wurde auf das Zehnfache angehoben. Darüber hinaus führte der Gesetzgeber eine 30 %ige KapSt auf Zinsen oder ähnliche Erträge ein. Die Regelung zum Bankgeheimnis in § 30a AO blieben aber bestehen, so dass weiterhin die verfahrensrechtliche Überprüfungsmöglichkeit der FinVerw gegenüber Banken sehr beschränkt war.

Mit Urteil vom 09.03.2004, sog "Tipke-Urteil", BVerfG BStBl II 2005, 56, erklärte das BVerfG die Regelungen zur Besteuerung der privaten Veräußerungsgeschäfte für die Jahre 1997 und 1998 für verfassungswidrig. Das Gericht ging von einem strukturellen Vollzugsdefizit aus. Bei einer unvollständigen oder wahrheitswidrigen Angabe iRd Steuererklärung bestünde nur ein geringes Entdeckungsrisiko, was insbesondere durch das Verbot von Kontrollmitteilungen gemäß § 30a Abs 3 S 2 AO aF begünstigt wurde. Zur Vermeidung des Vollzugsrisikos wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2001 vom 24.03.1999 die Mitteilungspflicht gegenüber dem damaligen Bundesamt für Finanzen bei Freistellungsaufträgen gemäß § 45d EStG erweitert, und durch das StÄndG 2003 vom 15.12.2003 (s § 24c EStG aF) hatten Banken Jahresbescheinigungen auszustellen, die aber nicht den FA vorzulegen waren. Mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23.12.2003 (BGBl I 2003, 2928) führte der Gesetzgeber ein Verfahren zum automatischen Kontenabruf (s §§ 93b, 93 Abs 7 und 8 AO) ein. Der VIII. Senat des BFH verneinte beharrlich die Verfassungswidrigkeit des § 20 EStG, sah schließlich das strukturelle Vollzugsdefizit durch die nach dem "Tipke-Urteil" ergangenen gesetzlichen Maßnahmen als nicht mehr gegeben an (s dazu BFH vom 07.09.2005, BStBl II 2006, 61).

Durch das UntStRG 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912) kam es zu einer Neufassung des § 20 EStG mit Einführung der AbgSt auf laufende Einnahmen und Veräußerungsgewinne. Die Vollzugsproblematik hat sich jedenfalls für Erträge, die der AbgSt unterliegen, erledigt.

Nach FG Nds verstößt die AbgSt gegen die in Art 3 Abs 1 GG verankerte Gleichbehandung aller Einkunftsarten und eine gleichmäßige Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähkeit (FG Nds vom 18.03.2022, 7 K 210/21, DStR 2022, 921; allerdings Aufhebung des Vorlagebeschlusses an das BVerfG nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Beteiligten – FG Nds vom 18.08.2022, 7 K 120/21).

 

Rn. 12

Stand: EL 171 – ET: 02/2024

Die zum 01.01.2009 eingeführte AbgSt ist verfassungsrechtlich nicht unumstritten.

Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Beurteilung der AbgSt als solche wird auf die Ausführungen von Weiss (s § 32d Rn 110 und 111) verwiesen.

Für laufende Erträge ist nach § 20 Abs 9 EStG der WK-Abzug ausgeschlossen, und es wird stattdes...

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