a) Allgemeines

 

Rn. 359a

Stand: EL 159 – ET: 08/2022

Das BVerfG betont zum Thema "Verfassungsrecht und Rückwirkung belastender Gesetze" in st Rspr (BVerfGE 132, 302 mwN): Das grds Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf dem Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Wenn der Gesetzgeber nachträglich belastend die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten. Zur Rückwirkung von Rspr-Änderungen des BFH s Hess, DStR 2021, 1905

b) Unterscheidung echte/unechte Rückwirkung

 

Rn. 359b

Stand: EL 159 – ET: 08/2022

Das BVerfG unterscheidet in ebenfalls st Rspr (zB BVerfGE 132, 302 mwN; s auch Kirchhof, DStR 2015, 717; Desens, FR 2013, 148; Lindberg in Frotscher/Geurts, § 2 EStG Rz 23 ff, Stand 13.03.2019) zwei Arten der Rückwirkung:

(1)

Echte Rückwirkung: Rechtsnorm greift nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ein. Insbesondere gegeben, wenn die Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"). Die echte Rückwirkung ist grundsätzlich unzulässig.

Bsp: Der Gesetzgeber ändert eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich.

(2)

Unechte Rückwirkung: Rechtsnorm wirkt auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein und entwertet damit zugleich die betroffene Rechtsposition. Insbesondere gegeben, wenn belastende Rechtsfolgen erst nach Verkündung der Rechtsnorm eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), Die unechte Rückwirkung ist grds zulässig, allerdings begrenzt durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips (weiter dazu unter s Rn 359c).

Bsp: Der Gesetzgeber ändert für den laufenden VZ eine Norm des ESt-Rechts. Allerdings stellt das BVerfG für diesen Fall gesteigerte Zulässigkeitsvoraussetzungen auf, da sie einer echten Rückwirkung oft nahestehen können (s Rn 359e).

c) Die Rspr des BVerfG zur unechten Rückwirkung im Steuerrecht

 

Rn. 359c

Stand: EL 159 – ET: 08/2022

Das BVerfG hatte sich bereits in drei Entscheidungen jeweils vom 07.07.2010

zum Thema "Verfassungsrecht und unechte Rückwirkung" in begrüßenswerter Weise geäußert und den Vertrauensschutz erheblich gestärkt (zustimmend auch Schmidt/Renger, DStR 2011, 693; Momen, BB 2011, 2781; Schönfeld/Häck, DStR 2012, 1725). Eine solche (= unechte) sei nicht grundsätzlich unzulässig, aber unter Vertrauensschutzgesichtspunkten nur zulässig, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen enttäuschtem Vertrauen und Gewicht und Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt sei (BVerfG 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, DB 2010,1858).

 

Rn. 359d

Stand: EL 159 – ET: 08/2022

Verfassungswidrig waren danach

  • Nr 1 (s Rn 359c): die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist (10 Jahre) bei privaten Grundstücksgeschäften (§ 23 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG) insoweit, als dies auch Fälle erfasste, in denen die frühere kürzere Spekulationsfrist (2 Jahre) bereits abgelaufen war.
  • Nr 2 (s Rn 359c): die rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG (von 25 % auf 10 %) insoweit, als sie auch StPfl betraf, die bereits vor Gesetzesverkündung (31.03.1999) weniger als 25 %, aber mehr als 10 % hielten und somit nach alter Rechtslage steuerfrei hätten veräußern können.
  • Nr 3 (s Rn 359c): die rückwirkende Einführung der Fünftelregelung in § 34 EStG, als sie auch Fälle betraf, in denen im Jahre 1998, aber noch vor Erbringung der Neuregelung im Bundestag (09.11.1998), eine Entschädigung verbindlich vereinbart und im Jahre 1999 ausbezahlt oder unabhängig vom Zeitpunkt der Vereinbarung noch vor der Verkündigung der Neuregelung (31.03.1999) ausbezahlt wurde.
 

Rn. 359e

Stand: EL 159 – ET: 08/2022

BVerfG v 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302 (,dazu Desens, FR 2013,148) hielt in Fortführung dieser unter s Rn 359c, 359d dargestellten Rspr wegen der gesteigerten Anforderungen bei unechter Rückwirkung durch belastenden Eingriff in den laufenden Erhebungszeitraum die Regelung in § 36 Abs 4 GewStG aF, nach der die Hinzurechnung von Dividenden und gleichgestellten Leistungen zum Gewerbeertrag nach § 8 Nr 5 GewStG erstmals für den VZ 2001 anzuwenden war, für insoweit als verfassungswidrig, als Vorabausschüttungen betroffen waren, die im Zeitraum bis einschließlich 11.12.2001 beschlossen und abgewickelt wurden (der Vorschlag des Vermittlungsausschusses vom 11.12.2001 enthielt die dann Gesetz gewordene Fassung des § 8 Nr 5 GewStG und sah erstmals die Anwendung für den VZ 2001 vor). Das BVerfG stellte also eine unechte Rückwirkung kurz vor Ende des Erhebungszeitraums einer echten gleich.

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