Rz. 376

[Autor/Stand] Vgl. zunächst § 385 Rz. 152 ff. sowie § 392 Rz. 251 ff. Gemäß § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO hat der Beschuldigte das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens des "Beistandes eines Verteidigers" zu bedienen. Die Praxis zeigt, dass von dieser gesetzlich verbrieften Möglichkeit im Ermittlungsverfahren nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht wird. Auch hier spielen bei dem Beschuldigten vordergründig emotionale Erwägungen eine Rolle, etwa wenn eine Verschlechterung des "Ermittlungsklimas" und negative Schlussfolgerungen seitens der Ermittlungsbehörden befürchtet werden.

 

Rz. 377

[Autor/Stand] Doch auch unter Berücksichtigung dieser Argumente lassen sich im Hinblick auf drohende negative Auswirkungen eines unsachgemäß geführten Ermittlungsverfahrens kaum Argumente gegen die Hinzuziehung eines Verteidigers in einem möglichst frühen Verfahrensstadium finden. Ausschlaggebend sollte vor allem sein, dass sich der Beschuldigte mit dem eröffneten Tatvorwurf in einer für ihn ungewohnten Verfahrensrolle wiederfindet und durch ein falsches Agieren aus der laienhaft betrachteten Verteidigungsfalle negative Folgen für den Ausgang des Strafverfahrens drohen, die sich nur durch den frühzeitig eingeholten Rat eines sachkundigen Beistands vermeiden lassen. Dies gilt nochmals mehr in steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren, in denen die mit prozessualen Sonderbefugnissen und in einer Doppelfunktion agierende Steufa auftritt.

 

Rz. 378

[Autor/Stand] Einen gewissen Schutz des Beschuldigten bieten die Belehrungspflichten seitens der Fahndungsbeamten und ggf. die Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers. So ist der Beschuldigte über das Recht auf Zuziehung eines Verteidigers gem. § 163a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 Satz 5 StPO zu belehren, da ansonsten ein Beweisverwertungsverbot folgt[4]. Allerdings kann der Beschuldigte, nach ordnungsgemäßer Belehrung, auch auf sein Verteidigerkonsultationsrecht (ggf. sogar konkludent) verzichten[5].

 

Rz. 379

[Autor/Stand] Ebenfalls ist der Beschuldigte nach § 163a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO über sein Recht zu belehren, dass er unter den Voraussetzungen des § 140 StPO die Bestellung eines (Pflicht-) Verteidigers nach Maßgabe des § 141 Abs. 1 und des § 142 Abs. 1 beantragen kann. Zur Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Steuerstrafverfahren (Nr. 32 Abs. 3 AStBV (St) 2022, s. AStBV Rz. 32) s. ausführlich § 392 Rz. 31 ff.[7].

 

Rz. 380

[Autor/Stand] Unterlässt es der ordnungsgemäß belehrte (ausländische) Beschuldigte (nebst Dolmetscher), in der Vernehmung einen entsprechenden Antrag zu stellen, so sieht die aktuelle Rspr. des BGH[9] (3. Strafsenat) nicht die Notwendigkeit für eine Pflichtverteidigerbestellung von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO (Unfähigkeit zur Selbstverteidigung). Ein Fall der notwendigen Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StPO gebiete für sich genommen nicht eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 141 Abs. 2 Satz Nr. 3 StPO[10]. Selbst für den Fall, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor einer Beschuldigtenvernehmung zu Unrecht unterblieben sei, so der 3. Strafsenat des BGH, ergäbe sich daraus nicht generell die Unverwertbarkeit der Vernehmung. Für Burhoff[11] hätte der BGH den folgenden Leitsatz für seine Entscheidung wählen sollen:

"Ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StPO ist nach der Rechtsprechung des 3. Strafsenats des BGH ausgeschlossen."

 

Rz. 381

[Autor/Stand] Der deutsche Gesetzgeber hat im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens die Bestellung eines Pflichtverteidigers gem. § 141 Abs. 1 StPO grundsätzlich vom Antrag des Beschuldigten (Ausnahme § 141 Abs. 2 StPO) abhängig gemacht. Stellt der Beschuldigte keinen Antrag, so darf er ohne Pflichtverteidiger vernommen werden[13]. Diese Vorgabe ist mit den europarechtlichen Vorgaben der RL (EU) 2016/1919 kaum vereinbar, da insoweit von einem Antragserfordernis des Beschuldigten nicht die Rede ist[14]. Beulke[15] führt insoweit aus

"Das Antragsrecht, das entgegen der Intention der Richtlinie in ein Antragserfordernis uminterpretiert wird, dient als Alibi für die nach Strenge gegenüber "Verbrechen" rufende Gesellschaft, den Straftäter, dessen Schuld doch eigentlich erst ermittelt werden, zu überrumpeln. Alter Wein in neuen Schläuchen!"

Mit (u.a) Jahn[16] ist daher die eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstverteidigung i.S.d. § 140 Abs. 2 Nr. 3 StPO im Wege richtlinienkonformer Auslegung immer schon dann anzunehmen, wenn nach prospektiver Beurteilung ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt[17].

 

Rz. 382

[Autor/Stand] Der Koalitionsvertrag zwischen den Parteien SPD, Die Grünen und FDP 2021–2025 enthält im Kapitel VI. unter dem Punkt "Justiz" den Satz "Wir stellen die Verteidigung der Beschuldigten mit Beginn der ersten Vernehmung sicher". Der Gesetzgeber ist nun gefordert sich zu positionieren.

Sodann ist nach der hier vertretenen Auffassung bei der Unterlassung der Belehrung, sofern tatsächlich ...

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