a) Notwendige Verteidigung nach § 140 StPO

Ergänzender Hinweis:

Nr. 32 Abs. 3 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 32.

Schrifttum:

Bittmann, Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts, NStZ 2010, 13; Burhoff, Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen richterlicher Vernehmung nach dem neuen § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO, StraFo 2018, 405 ff.; Fromm, Neues zur "Umbeiordnung" des Pflichtverteidigers, NJOZ 2014, 1081; König, Untersuchungsgefangene bekommen mehr Rechte, AnwBl. 2010, 50; Lam/Meyer-Mews, Die gestörte Verteidigung – Möglichkeiten und Grenzen des Widerrufs der Pflichtverteidigung, NJW 2012, 177; Moltekin, Zur Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO in Steuerstrafsachen, wistra 1986, 97; Rolletschke/Jope, Die Grundsatzentscheidung des BGH zur Strafhöhe bei Steuerhinterziehung, wistra 2009, 219; Schlothauer, Neuregelung der Pflichtverteidigung: effektiver und praxistauglicher!?, StV 2017, 557; Spitzer, Neuregelung der notwendigen Verteidigung – europarechtswidrige Umsetzung der sog. Pkh-Richtlinie, ZRP 2019, 183.

 

Rz. 31

[Autor/Stand] Ist das Strafverfahren für den Beschuldigten mit besonders schwerwiegenden Konsequenzen verbunden oder scheint der Beschuldigte dem Verfahren allein nicht gewachsen zu sein, kann sich aus dem Rechtsstaatsprinzip die Notwendigkeit ergeben, im Interesse eines prozessordnungsgemäßen und fairen Strafverfahrens, zu der auch eine wirksame Verteidigung gehört, dem Beschuldigten einen Verteidiger beizuordnen, und zwar ohne Rücksicht auf dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse und auch ohne Rücksicht darauf, ob der Beschuldigte überhaupt einen Verteidiger haben will[2] (sog. notwendige Verteidigung, §§ 140 ff. StPO, vgl. Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK). Hat der Beschuldigte bereits einen Verteidiger gewählt, ist der Notwendigkeit seiner Verteidigung grds. Genüge getan (arg. § 141 Abs. 1 StPO), nur ausnahmsweise (§ 144 StPO) wird gleichwohl ein Pflichtverteidiger bestellt.[3] Die Fälle notwendiger Verteidigung hat der Gesetzgeber in § 140 StPO enumerativ konkretisiert. In Umsetzung der sog. PKH-Richtlinie (EU) 2016/1919[4] wurde der Katalog notwendiger Verteidigung ergänzt und weitere begleitende Regeln geschaffen.[5] Dazu zählt auch die Bestellung eines kostenfreien Rechtsbeistandes in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (§ 53, § 83j IRG; dazu vgl. § 399 Rz. 369 ff.) sowie bei Überstellung an den Internationalen Strafgerichtshof (§ 31 IStGH).

 

Rz. 32

[Autor/Stand] Hat der Beschuldigte noch keinen Wahlverteidiger und bestellt sich nach gerichtlicher Aufforderung (vgl. § 142 Abs. 5, 6 StPO) kein solcher, bestellt das Gericht einen sog. Pflichtverteidiger, der zunächst aus der Staatskasse bezahlt wird. Dies geschieht auf Antrag des Beschuldigten (§ 141 StPO) oder ausnahmsweise der StA (§ 142 Abs. 2 StPO). Der Beschuldigte muss über die Möglichkeit der Pflichtverteidigerbestellung belehrt werden (§ 58 Abs. 2, § 114b Abs. 2 Nr. 4a, § 136 Abs. 1, § 141 Abs. 1 StPO). Ob ein Verstoß zu einem Verwertungsverbot führt, ist streitig (Rz. 47).

 

Rz. 33

[Autor/Stand] Die Mitwirkung eines Verteidigers ist nach § 140 StPO von Gesetzes wegen "notwendig", wenn:

§ 140 StPO Notwendige Verteidigung

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn

   1. zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
   2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
   3. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
   4. der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
   5. der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
   6. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
   7. zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
   8. der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
   9. dem Verletzten [...] ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.
  10. bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
  11. ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

 

Rz. 34

[Autor/Stand] Die Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO gilt als Generalklausel für Vergehenssachen vor dem Amtsgericht und dem Berufungsgericht. In Fällen der notwendigen Verteidigung bestellt das Gericht auf Antrag des Beschuldigten (§ 141 Abs. 1 StPO; zum Verfahr...

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