Rz. 612

[Autor/Stand] Der BGH hat sich in der jüngeren Vergangenheit wiederholt zur Frage der Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung geäußert und die Anforderungen an eine bewährungsfähige Strafe bei der Hinterziehung hoher Summen erheblich verschärft.[2] Dies ist nicht ohne Auswirkungen auf die Anordnung der Untersuchungshaft geblieben.

Allein eine erhebliche Straferwartung trägt jedoch nach der ständigen und einheitlichen Rspr. der OLG die Annahme einer Fluchtgefahr nicht.[3] Hierfür spricht insbesondere im Steuerstrafrecht folgende praktische Überlegung: Gerade in Steuerstrafsachen ist im Falle einer Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe der sog. offene Vollzug (§ 10 Abs. 1 StVollzG) eher die Regel denn die Ausnahme.[4] Die damit einhergehenden Vorzüge, etwa die Aufnahme einer Außenbeschäftigung (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) oder die Möglichkeit von Hafturlaub (§ 13 StVollzG) würde sich der Beschuldigte verspielen, wenn er sich nicht dem Verfahren stellt, der Hauptverhandlung unentschuldigt fernbleibt und aus einer bestehenden Untersuchungshaft heraus den Strafvollzug antreten müsste. Die Straferwartung kann daher insbesondere in Steuerstrafverfahren nur Ausgangspunkt für die Erwägung sein, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden.[5] Andererseits ist zu konstatieren, dass (noch) nicht alle Staaten in gleichem Umfang Rechtshilfe bei Steuerstraftaten leisten, mitunter die Auslieferung bei bloßen Fiskaldelikten verweigern, etwa die Schweiz nach Art. 32 ff. IRSG.[6] Vielfach ist die internationale Rechtshilfe in Strafsachen auch durch Erschwernisse tatsächlicher Art gekennzeichnet und in der Praxis mitunter mühselig. Nicht jedes Land ist gleich kooperativ und gleichermaßen zügig.

[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022
[2] BGH v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, ZWH 2012, 148 = wistra 2012, 236; BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 168/11, BFH/NV 2011, 1468; BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 = NJW 2009, 528; vgl. hierzu Wulf, DStR 2009, 459; Schwedhelm/Talaska, GmbH-StB 2011, 54; Trüg, IBR 2009, 117; Stahl, KÖSDI 2009, 531; Bilsdorfer, NJW 2009 = EWiR 2009, 219 (Floeth) = ZIP 2009, 473 = wistra 2009, 107; Peters, NZWiSt 2012, 201.
[3] OLG Naumburg v. 2.12.2009 – 1 Ws 789/09, StraFo 2010, 112; OLG Karlsruhe v. 26.6.2009 – 2 Ws 229/09, wistra 2009, 486; OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04 = StV 2005, 33; OLG Celle v. 11.10.1949 – Ws 203/49, NJW 1950, 240; KG v. 17.5.1965 – 1 AR 930/61, NJW 1965, 1390; OLG Köln v. 21.7.1995 – 1 Ws 23/95 = StV 1995, 475; OLG Hamm v. 28.1.2000 – 2 Ws 27/2000 = NStZ-RR 2000, 188; OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04 = StV 2005, 33; einschränkend für eine Straferwartung von deutlich über zwei Jahren KG v. 16.11.2011 – 3 Ws 577/11 – 1 AR 1697/11, StraFo 2012, 62; hiergegen KG v. 3.11.2011 – 4 Ws 96/11 - 1 AR 58/11, StV 2012, 350; OLG Frankfurt v. 3.1.2014 – 1 Ws 206/13, StraFo 2014, 73; Böhm/Werner in MünchKomm, § 112 StPO Rz. 52.
[4] KG v. 3.11.2011 – 4 Ws 96/11 – 1 AR 58/11, StV 2012, 350; zu diesem Aspekt auch Münchhalffen in FS Riess, 2002, S. 348 (352).
[5] OLG Naumburg v. 2.12.2009 – 1 Ws 789/09, StraFo 2010, 112; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt65, § 112 StPO Rz. 24.
[6] Eine Auslieferung kommt jedoch in Betracht bei "schwerer illegaler persönlicher Bereicherung mit staatlichen Geldern" und Geldwäsche, vgl. Schw. Bundesgericht Lausanne v. 22.12.2005 – 1A.288/05, EuGRZ 2006, 425.

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