Rz. 905

[Autor/Stand] Es ist stets von Amts wegen zu prüfen, ob die materiellen Unterstützungsvoraussetzungen vorliegen und Rechtshilfehindernisse nicht entgegenstehen[2]. Die wichtigsten Prinzipien sind hierbei

  • Grundsatz der Gegenseitigkeit (Reziprozität);
  • Erfordernis der beiderseitigen Straf- und Verfolgbarkeit;
  • Spezialitätsgrundsatz (s. hierzu die Ausführungen zum Europäischen Haftbefehl, Rz. 1160 ff.);
  • Grundsatz des ordre public[3];
  • entgegenstehende Rechtshilfehindernisse.
 

Rz. 906

[Autor/Stand] Nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit, der insb. im Bereich der vertraglosen Rechtshilfe zum Tragen kommt, muss dem ersuchenden Staat die Versicherung abverlangt werden, dem ersuchten Staat im gleichen Umfang Unterstützung zu gewähren.

 

Rz. 907

[Autor/Stand] Das Erfordernis der Reziprozität ist eine besondere Ausprägung des Gegenseitigkeitsprinzips. Auslieferung und Vollstreckungshilfe hängen danach davon ab, dass die Tat nach dem Recht beider Staaten strafbar und verfolgbar ist[6]. Entschuldigungs- oder Strafaufhebungsgründe bleiben außer Betracht.

 

Rz. 908

[Autor/Stand] Eine in Deutschland wirksam abgegebene Selbstanzeige oder eine Erklärung nach einem Amnestiegesetz entfalten daher im Falle eingehender wie ausgehender Ersuchen grds. keine Sperrwirkung, sondern sind erst auf der Ebene des transnationalen ne bis in idem zu berücksichtigen. Für die beiderseitige Strafbarkeit ist ausreichend, wenn die Tat bei sinngemäßer Betrachtung des Sachverhalts den Anforderungen des Rechts des ersuchten Staates entspricht[8]. Dies ist bei der Steuerhinterziehung regelmäßig der Fall und führt nur in Einzelfällen zu Besonderheiten, etwa im Hinblick auf die Schweiz, die zwischen Steuerhinterziehung und Abgabenbetrug unterscheidet.

 

Rz. 909

[Autor/Stand] Nach dem Spezialitätsgrundsatz ist die Verfügungsgewalt des ersuchenden Staates auf die der rechtshilferechtlichen Bewilligung zugrunde liegende Tat beschränkt[10]. Bei ausgehenden Ersuchen bestimmt sich dies über § 72 IRG. Der Spezialitätsgrundsatz ist nur im Auslieferungsverkehr gewohnheitsrechtlich anerkannt[11]. Die Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung lässt den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen. Ein aus dem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz resultierendes Verfahrenshindernis führt nicht zur Nichtigkeit eines Urteils[12]. Sofern ein Strafverfahren unter Verstoß gegen das sich aus dem Spezialitätsgebot ergebende Verfahrenshindernis geführt wurde, ist eine Wiederholung des (gerichtlichen) Strafverfahrens nicht erforderlich. Verfahrenshindernisse, auch ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz, können noch im Revisionsverfahren behoben werden[13]. Das Hindernis kann dabei sowohl durch eine nachträgliche Bewilligung des ersuchenden Staates[14] als auch durch einen Verzicht behoben werden. Weder der Angeklagte noch der ausliefernde Staat können einseitig die nachträgliche Beseitigung des Verfahrenshindernisses verhindern.

 

Rz. 910

[Autor/Stand] Eine Rechtshilfehandlung verstößt gegen den ordre public, wenn der ersuchte Staat dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde (vgl. auch § 73 IRG). Die Ächtung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gehört zum festen und unabdingbaren Bestand des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes (vgl. Art. 3 EMRK und Art. 7 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte)[16].

 

Rz. 911

[Autor/Stand] Ebenso kann die Auslieferung zur Verhängung oder Vollstreckung einer an sich zulässigen Strafe gegen den ordre public verstoßen und unzulässig sein, wenn konkret zu besorgen ist, dass die zu erwartende oder verhängte Strafe im ersuchenden Staat in einer den Erfordernissen des Art. 3 EMRK nicht entsprechenden Weise vollstreckt werden würde[18]. Der Grundsatz des ordre public steht ferner dann entgegen, wenn die Rechtshilfe im Falle der Gewährung wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widerspricht (vgl. auch § 73 IRG)[19]. Praktische Auswirkungen hat dies vornehmlich im Bereich der Auslieferung, etwa wenn die rechtlichen Mindeststandards im ersuchenden Land infrage stehen. In keinem Fall, insb. im europäischen Raum, darf eine Straftat mit Auslandsbezug zu einer Besser- oder Schlechterstellung des Beschuldigten führen.

[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.05.2020
[2] BVerfG v. 9.3.1983 – 2 BvR 315/83, BVerfGE 63, 332 (337); BVerfG v. 9.11.2000 – 2 BvR 1560/00, NStZ 2001, 203 (204); BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442); Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, S. 34.
[3] BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442).
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.05.2020
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.05.2020
[6] Vgl. §§ 2, 3 Abs. 1 IRG, Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk1957.
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.05.2020
[8] Näher hierzu Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen3, S. 35; vgl. auch die Deliktsgruppen i.S.d. Rahmenbeschlusses 2003...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge