Katalanische Separatisten begnadigt - Charles Puigdemont nicht

Der spanische Regierungschef Pedro Sanchez hat am 20.06.2021 neun hochrangige, zu langjährigen Haftstrafen verurteilte katalanische Separatistenführer begnadigt. Der ehemalige katalanische Regierungschef Puigdemont ist nicht dabei. Der Kämpfer für die Unabhängigkeit Kataloniens ist inzwischen Abgeordneter im EU-Parlament. Ist er erneut in Gefahr, an Spanien ausgeliefert zu werden?

Neun Menschen holen wir aus dem Gefängnis, Millionen Menschen können damit in Spanien wieder friedlich zusammenleben“.

Mit diesen Worten hat der spanische Regierungschef Pedro Sanchez die Begnadigung und die wohl in dieser Woche noch zu erwartende Freilassung der maßgeblichen Separatistenführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung nach mehr als dreijähriger Haft verkündet. Die Handreichung des Ministerpräsidenten gegenüber den katalanischen Separatisten ist in Spanien hoch umstritten.

Verurteilung wegen Rebellion

Die Separatisten waren wegen ihrer Bestrebungen zur Gründung eines vom übrigen Spanien unabhängigen katalanischen Staates, die sie im Jahr 2017 mit einem illegalen Unabhängigkeitsreferendum zu erzwingen versuchten, zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Der frühere katalanische Vizepräsident Oriol Junqueras erhielt eine 13-jährige Gefängnisstrafe.

Begnadigung erfasst nur die Haftstrafen

Sie alle wurden jetzt begnadigt. Der Gnadenerlass muss noch von König Felipe abgezeichnet werden, danach können die neun inhaftierten Politiker die Haftanstalt verlassen. Mit der Begnadigung werden die Haftstrafen aufgehoben. Die Begnadigung gilt demgegenüber nicht

  • für die teilweise zusätzlich verhängten Geldstrafen und
  • für den Ausschluss von öffentlichen Ämtern.
  • Außerdem wird die Begnadigung auf Bewährung ausgesprochen.
  • Für die Begnadigten bedeutet dies, sollten Sie innerhalb der nächsten sechs Jahre weitere Straftaten begehen, so entfällt rückwirkend die Wirkung der Begnadigung.

Keine Gnade für geflohene katalanische Politiker

Der frühere katalanische Regional Präsident Carles Puigdemont hatte sich einer Inhaftierung in Spanien durch Flucht entzogen. Er setzte sich in der Anfangsphase seiner Flucht nach Dänemark und danach nach Deutschland ab, sein Gesundheitsminister Comin nach Belgien, Kataloniens Ex-Kulturministerin Carla Ponsati nach Schottland. Trotz der Ermittlungsverfahren in Spanien wurden alle  drei Politiker im Jahr 2019 in das EU-Parlament gewählt, dem sie seither als Abgeordnete angehören. Für sie gilt die Begnadigung nicht.

Klage vor dem EGMR

Einige der in Spanien verurteilten und jetzt Begnadigten klagen vor dem EGMR wegen der aus ihrer Sicht völlig unverhältnismäßig hohen Strafen. Ihre Klagen werden sie wohl trotz der Begnadigung nicht zurückziehen.

Separatisten fordern Amnestie statt Begnadigung

Die jetzige Begnadigung ist in Spanien äußerst umstritten. Der spanische Ministerpräsident Sanchez strebt nach Versöhnung zwischen Spaniern und Katalanen, aber keine der Bevölkerungsgruppen goutiert seinen Schritt. Die separatistischen Parteien fordern mehr, nämlich dass die inhaftierten Separatisten nachträglich straffrei gestellt werden, da sie die Inhaftierung nicht als Ergebnis eines rechtsstaatlichen, sondern eines politischen Prozesses sehen. Sie fordern Amnestie statt Begnadigung.

Konservative betrachten Begnadigung als Verrat

Konservative Parteien sehen die Begnadigung als Verrat am spanischen Staat. Auch eine Bevölkerungsmehrheit ist der Meinung, dass die Separatisten keine Begnadigung verdient hätten. Allerdings hatte der Ministerpräsident für sein Vorhaben die Unterstützung der katholischen Bischöfe sowie einiger spanischer Regionen im Norden und Osten des Landes und nicht zuletzt des mächtigen Arbeitgeberverbandes gewonnen.

Puigdemont fordert Sicherheitsgarantien

Zu einer Begnadigung Puigdemonts ist der spanische Ministerpräsident nicht bereit. Dieser müsse zuerst nach Spanien zurückkehren und sich der spanischen Justiz stellen. Dann könne man entscheiden, wie weiter verfahren werde. Puigdemont seinerseits ist zur Rückkehr nach Spanien nur bereit, wenn ihm Straffreiheit und Sicherheit vor staatlicher Verfolgung garantiert wird.

Europa Parlament Straßburg

EU-Parlament hat Immunität aufgehoben

Der europäische Haftbefehl ist weiterhin in Kraft. Wegen der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen Immunität Puigdemonts war eine Vollstreckung bisher nicht möglich. Im März entschied das europäische Parlament allerdings mit Mehrheit, sämtlichen drei katalanischen Abgeordneten den Immunitätsstatus zu entziehen. Seitdem ist eine Auslieferung grundsätzlich möglich.

Dass Belgien oder Schottland eine Auslieferung anordnen werden, erscheint allerdings zweifelhaft. Im Januar hatte ein belgisches Gericht die Auslieferung des ehemaligen katalanischen Kulturministers Lluis Puig in zweiter Instanz abgelehnt und auch Puigdemont liefert Belgien wohl nicht aus. Gegen Puigdemont ermittelt die spanische Justiz weiterhin wegen der Organisation eines Aufruhrs und der Veruntreuung von Steuergeldern.

OLG Schleswig hatte Auslieferung Puigdemonts wegen Rebellion abgelehnt

In Deutschland hatte das OLG Schleswig über die Auslieferung des im Jahr 2018 in Deutschland befindlichen Puigdemont zu entscheiden. Das OLG befand: Die Auslieferung ist zulässig. Aber: In Spanien durfte Puigdemont nach dem Spezialitätsgrundsatz nur im Rahmen der vom OLG Schleswig im Auslieferungsverfahren für zulässig erklärten Straftat der Veruntreuung öffentlicher Gelder der Prozess gemacht werden. Damit wäre die mit bis zu 30 Jahren Haft strafbare Rebellion vom Tisch gewesen.

Warum eine Auslieferung nur im Hinblick auf eine mögliche Veruntreuung hätte erfolgen dürfen

Rebellion ist in Deutschland nicht strafbar.

  • Ausgeliefert werden darf innerhalb der EU gem. § 81 Nr. 4 IRG (Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen),
  • nur bei beiderseitiger Strafbarkeit der zur Last gelegten Taten.
  • Dies sah das OLG nur für den Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder als erfüllt an.

Auslieferungsantrag aufgrund europäischen Haftbefehls

Die spanische Justiz hatte eine Auslieferung des am 25.3.2018 beim Grenzübertritt von Dänemark nach Deutschland

  • wegen des Straftatbestandes der Rebellion gemäß Art. 472 Abs. 5 und 7 des spanischen StGB
  • sowie wegen Korruption in Form der Untreue gemäß Artikel 432, 452 des spanischen StGB beantragt.

Eine Auslieferung hätte nach europäischem Recht aufgrund des europäischen Haftbefehls dann zu erfolgen, wenn in Deutschland gleichartige Straftatbestände existierten, bei deren Verletzung der Katalane auch in Deutschland strafbar wäre.

Kein Straftatbestand der Rebellion im deutschen StGB

Das OLG Schleswig bejahte  damals eine Übereinstimmung in der Verfolgbarkeit der vorgeworfenen Straftaten nur hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue, die auch in Deutschland gemäß § 266 BGB strafbar ist. Spanien verzichtete unter diesen Bedingungen lieber auf eine Auslieferung (OLG Schleswig, Beschluss v. 5.4.2018, 1 Ausl (A) 18/18 (20/18).

Auch Belgien liefert wohl nicht aus

Das gleiche Problem wie seinerzeit in Deutschland hat Spanien derzeit mit dem belgischen Staat. Auch dieser verweigert bisher eine Auslieferung Puigdemonts wegen der ihm vorgeworfenen Vergehens der Rebellion, da dieser Straftatbestand auch im belgischen StGB keine Entsprechung hat. Eine Auslieferung des EU-Abgeordneten Puigdemont erscheint daher nach wie vor eher unwahrscheinlich.

Problem Puigdemont vorerst kaum lösbar

Für den spanischen Regierungschef ist eine Begnadigung Puigdemonts ohne dessen zuvorige Rückkehr nach Spanien ohne Gesichtsverlust kaum möglich. Da andererseits Puigdemont das Risiko einer Rückkehr ohne vorherige Garantien zu hoch ist, wird es wohl vorerst beim derzeitigen Status-quo bleiben.


Hintergrund:

Grundsatz der Spezialität

Der Grundsatz der Spezialität gilt für die Verfolgung der Personen, die von einem EU-Mitgliedstaat auf Grund eines Europäischen Haftbefehls ausgeliefert werden

  • Er ergibt sich aus Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rats vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten1 – RB-EUHb – und § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG.
  • Der Grundsatz verbietet es, ohne Zustimmung der zuständigen Behörde des ersuchten EU-Mitgliedstaates eine übergebene Person wegen einer strafbaren Handlung, die der Übergabe nicht zugrunde liegt, zu verfolgen, zu verurteilen oder einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme zu unterwerfen.
Schlagworte zum Thema:  Europäische Union, EU-Recht