Schrifttum
Buse, Steuergeheimnis; Mitteilung zur Durchführung dienstrechtlicher Maßnahmen bei Beamten und Richtern, AO-StB 2010, 140; Buse, Steuergeheimnis bei dienstrechtlichen Maßnahmen gegen Beamte, AO-StB 2011, 241; Hardtke, Gilt das Steuergeheimnis nach einer Selbstanzeige auch für Beamte?, AO-StB 2003, 98; Lindwurm, Das Steuergeheimnis nach der mündlichen Verhandlung vor dem FG und dem Strafgericht, AO-StB 2008, 378; Tormöhlen, Die Durchbrechung des Steuergeheimnisses im zwingenden öffentlichen Interesse, AO-StB 2011, 309; Wegner, § 393 Abs. 2 S. 2 AO: Verwertung von steuerrechtlichen Informationen verfassungswidrig?, PStR 2008, 155; Wulf/Ruske, Steine statt Brot – Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von § 393 II 2 AO ist aufgeschoben, Stbg 2010, 443.
Rz. 240
[Autor/Stand] § 393 Abs. 2 Satz 2 AO bestimmt die Ausnahmen vom Verwendungsverbot des Abs. 2 Satz 1. Ein Verwertungsverbot entfällt, wenn ein zwingendes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. In diesem Fall hat das Legalitätsprinzip Vorrang vor dem Steuergeheimnis. Wann ein solches Interesse anzunehmen ist, ist in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO – auf den § 393 Abs. 2 Satz 2 AO ausdrücklich Bezug nimmt – gesetzlich definiert.
§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO lautet:
(4) Die Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten ist zulässig, soweit
[...]
5. für sie ein zwingendes öffentliches Interesse besteht; ein zwingendes öffentliches Interesse ist namentlich gegeben, wenn
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Rz. 241
[Autor/Stand] § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genügt nach der höchstrichterlichen Rspr.[3] verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Ausnahmen vom Steuergeheimnis sind jedoch im Lichte verfassungsrechtlicher Anforderungen an den Schutz individualisierter und individualisierbarer steuerlichen Daten auszulegen[4]. Zur Auslegung von § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO durch die Finanzverwaltung vgl. BMF AEAO zu § 30 Nr. 11[5].
1. Verfassungswidrigkeit der Vorschrift?
Rz. 242
[Autor/Stand] Die Verwertungsbefugnis gem. § 393 Abs. 2 Satz 2 AO hält die h.M. in der Literatur dagegen mit Recht wegen Verstoßes gegen das Nemo-tenetur-Prinzip für verfassungswidrig und nicht verfassungskonform auslegbar[2]. Die Annahme, das Problem sei in der Praxis wenig relevant[3], da sich wohl kaum ein Stpfl. bei Betriebsprüfungen selbst schwerer Wirtschaftsvergehen bezichtigen werde, trifft angesichts der vielfachen gesetzlichen Mitteilungspflichten der FinB bei Verdacht der Korruption (§ 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG)[4], illegaler Beschäftigung (§ 31a AO)[5] und Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung (§ 31b AO) nicht mehr zu. Es ist von erheblicher Brisanz[6].
Rz. 243
[Autor/Stand] Auch das LG Göttingen v. 11.12.2007[8] (in nachst. Beispiel) hatte Bedenken bzgl. der Verfassungsgemäßheit des § 393 Abs. 2 Satz 2 AO und hat dem BVerfG die Frage im Wege eines Normenkontrollverfahrens gem. Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorgelegt.
Beispiel
In dem Verfahren des LG Göttingen ging es um ein Vergehen nach § 266a StGB. Eine GmbH beschäftigte Asiaten im Rahmen von "Werkverträgen" mit der Geschlechtsbestimmung von Eintagsküken (sog. Kükensortierer). Das FA führte zunächst bei der GmbH eine reguläre Betriebsprüfung betreffend die Körperschaft-, die Gewerbe- und die Umsatzsteuer und später zudem eine Lohnsteueraußenprüfung durch. Im Rahmen dieser Prüfungen erstellte die Betriebsprüferin eine Liste von Unterlagen, die sie benötigte, um sich ein Bild von den Unternehmensumständen zu machen. Sie erhielt dar...
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