Rz. 216

[Autor/Stand] Im unmittelbaren Anschluss an die Entscheidung des BGH vom 20.5.2010 kam in der Praxis die Frage auf, wie mit Teilselbstanzeigen zu verfahren ist, die im Vertrauen auf den Fortbestand der Gesetzesauslegung durch die Rspr. (zu § 371 AO a.F.) abgegeben wurden. Der BGH selbst ging mit keinem Wort darauf ein, ob insoweit Vertrauensschutz zu gewähren ist oder ob die betroffenen Teilselbstanzeigen nachträglich als unwirksam anzusehen sind. Das FinMin. NW lehnte einen entsprechenden Vertrauensschutz ab[2]. Dies stand im Einklang mit der Rspr. des BGH, die einen Vertrauensschutz auf den Fortbestand der Gesetzesauslegung durch die Rspr. bei gleichbleibendem Gesetzeswortlaut grds. ablehnt[3]. Eine § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO vergleichbare Regelung ist dem Strafrecht fremd. In der Literatur wurde dagegen gefordert, dass das Rückwirkungsverbot generell auch bei Rspr.-Änderungen Anwendung finden müsse, da der gesetzliche Tatbestand durch die Auslegung der Rspr. erst eine abschließende Kontur erhält, auf deren Kontinuität der Gesetzesunterworfene vertrauen können muss, da er sein Vertrauen daran ausrichtet[4], insb. müsse das Rückwirkungsverbot aber im Hinblick auf den Beschluss vom 20.5.2010 gelten[5]. Der Gesetzgeber hat mit Art. 97 § 24 EGAO die Gewährung von Vertrauensschutz für Altfälle abschließend geregelt.

Art. 97 § 24 EGAO Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung und leichtfertiger Steuerverkürzung

Bei Selbstanzeigen nach § 371 der Abgabenordnung, die bis zum 28. April 2011 bei der zuständigen Finanzbehörde eingegangen sind, ist § 371 der Abgabenordnung in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung mit der Maßgabe anzuwenden, dass im Umfang der gegenüber der zuständigen Finanzbehörde berichtigten, ergänzten oder nachgeholten Angaben Straffreiheit eintritt. Das Gleiche gilt im Fall der leichtfertigen Steuerverkürzung für die Anwendung des § 378 Absatz 3 der Abgabenordnung.

 

Rz. 217

[Autor/Stand] Teilselbstanzeigen, die bis zum 28.4.2011 (24 Uhr) bei der zuständigen FinB eingegangen sind, führen – gemäß der früheren Auslegung des § 371 Abs. 1 AO a.F. (s. Rz. 233) – im Umfang der Nacherklärung zur Straffreiheit[7]. Vertrauensschutz wird damit bis zum Datum des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes gewährt, was von dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes zu unterscheiden ist. Zwischen dem 28.4.2011 (Datum des Gesetzes) und dem 3.5.2011 (Inkrafttreten des Gesetzes) besteht damit eine kurze Zeitspanne, für die das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz keine ausdrückliche Regelung vorsieht. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit zwar eindeutig, doch darf bezweifelt werden, dass der Gesetzgeber diese Rechtsfolge tatsächlich beabsichtigte. So stehen die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien im Widerspruch zu dem Gesetzeswortlaut, wenn es heißt, "die Übergangsregelung legt den Umfang der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige bis zur Verkündung der Neuregelung fest."[8]. Der Gesetzeswortlaut stellt nämlich gerade nicht auf das Datum der Verkündung, sondern das Datum des Gesetzes ab. Nach dem Gesetzeswortlaut wäre für Teilselbstanzeigen, die in diesem Zwischenzeitraum abgegeben wurden, § 371 AO a.F. in der Auslegung des BGH vom 20.5.2010 (s. Rz. 213 ff.) anzuwenden[9]. Zu Recht kritisiert Hechtner diese "unglückliche" Gesetzesregelung[10].

 

Rz. 218

[Autor/Stand] Des Weiteren ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass eine nach Inkrafttreten der Norm erstattete Selbstanzeige als erstmalige Selbstanzeige zu werten ist, so dass eine vollständige zweite Selbstanzeige die Heilung der früheren Teilselbstanzeige ermöglicht[12]. Nach der Gesetzesbegründung tritt Straffreiheit dann auch bzgl. der durch die "zweite" Selbstanzeige nacherklärten Taten ein, wenn durch diese alle bis dahin noch nicht offenbarten steuerlich erheblichen Sachverhalte der unverjährten Vergangenheit der betroffenen Steuerart in vollem Umfang erklärt, berichtigt oder ergänzt werden.

 

Rz. 219

[Autor/Stand] Überschneiden sich die Veranlagungszeiträume, auf die sich die beiden Selbstanzeigen beziehen, könnte die Tat insoweit durch die Abgabe der ersten Selbstanzeige entdeckt sein (s. dazu Rz. 248). Fraglich ist daher, ob die Anwendungs- und Übergangsregelung des Art. 97 § 24 EGAO auch ein etwaiges Vorliegen des Sperrgrundes des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO überwindet. Dagegen spricht, dass die Anwendungs- und Übergangsregelung das Vertrauen in die bisherige Rspr. zur Wirksamkeit der Teilselbstanzeige schützen soll. Die Problematik der Tatentdeckung durch eine erste Teilselbstanzeige resultiert aber nicht aus der geänderten BGH-Rspr., sondern stellt sich in gleicher Weise, wenn die Wirksamkeit von Teilselbstanzeigen anerkannt wird. Vorzugswürdig ist gleichwohl, die Wirksamkeit der weiteren Selbstanzeige in vollem Umfang anzuerkennen, da die Gesetzesbegründung nicht danach differenziert, ob ein sonstiger Sperrgrund des § 371 Abs. 2 AO vorliegt, sondern die Straffreiheit der weiteren Selbstanzeige einzig von deren Vollständigkeit abhängig macht. Da n...

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