Rz. 601

[Autor/Stand] Franzen[2] stellt allein auf den Inhalt der bekannt gegebenen Einleitungsverfügung ab. Dabei sei in erster Linie eine ausreichende Konkretisierung der Tathandlung zu verlangen, zusätzlich könne eine Abgrenzung nach Steuerarten und Steuerabschnitten erfolgen. Diese enge Auslegung belässt dem Selbstanzeigenden damit zunächst einen weiten Spielraum, noch rechtzeitig Selbstanzeige zu erstatten. Sie erscheint aufgrund des bei § 371 Abs. 2 AO mit Recht verschärft geltenden Bestimmtheitsgebots (s. Rz. 556 ff.) konsequent (s. auch Rz. 607 f.).

Ihr wird gleichwohl entgegengehalten, dass sie die Ausschlusswirkung letztlich von den Zufälligkeiten der Formulierung der Einleitungsverfügung abhängig mache[3] und es zudem in das Belieben der Behörde gestellt sei, wieweit die Sperrwirkung gehe, was nicht i.S.d. § 371 AO sein könne[4].

Diese Bedenken sind m.E. unbegründet, da eine nicht hinreichend konkretisierte Tateröffnung die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO nicht auslösen kann (s. Rz. 576).

 

Rz. 602

[Autor/Stand] Nach einer anderen, weitergehenden Auffassung sei der Begriff der "Tat" im strafprozessualen Sinne des § 264 StPO und damit als einheitliches historisches Geschehen zu verstehen[6].

 

Beispiel 7

Die Steuerfahnder hatten dem Angeklagten am 31.8.1983 persönlich mitgeteilt, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehung für die Jahre 1974–1981 eingeleitet sei, da der Verdacht bestehe, dass er die Erlöse aus dem Verkauf von Zahngold nicht als Betriebseinnahmen erklärt habe. Zugleich wurde er aufgefordert, Unterlagen über das Konto XY bei der Landesgirokasse für die Jahre 1977–1982 vorzulegen. Der Angeklagte hatte mit Schreiben vom 15.9.1983 die unrichtigen Angaben zum Teil berichtigt sowie in einem weiteren Schreiben vom 21.12.1983 die Habenlisten betr. das Konto XY vorgelegt, woraus sich die Zahlungen der Zahnärzte und die Festgeldzinsen ersehen ließen.

Das LG Stuttgart verneinte eine strafbefreiende Selbstanzeige, da zuvor die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO eingetreten sei. Mit der Aufforderung zur Vorlage der Kontounterlagen sei dem Angeklagten die Einleitung des Ermittlungsverfahrens auch bzgl. dieses steuerlichen Sachverhalts – Festgeldzinsen und Zahlungen von Zahnärzten – bekannt gegeben worden. Dem ist bereits aus Gründen des Bestimmtheitsgrundsatzes (s. Rz. 556 ff.) und der spezifischen Anforderungen, die an die Bekanntgabe zu stellen sind (s. Rz. 576 f.), zu widersprechen.

Aber auch wenn die Steuerfahnder dieses Konto nicht erwähnt hätten – so das LG Stuttgart weiter – hätte dies nichts am sachlichen Umfang der Sperrwirkung geändert, da diese die Gesamtheit aller falschen Angaben in der für einen bestimmten Zeitraum abgegebenen Steuererklärung erfasse. Denn Tathandlung sei die Erklärung insgesamt und nicht einzelne Teile dieser Erklärung. Die Vorschrift des § 371 AO beziehe sich eindeutig auf das Strafverfahren. Daher gelte der strafprozessuale Tatbegriff.

 

Rz. 603

[Autor/Stand] Jene Ansicht ist mit der Neufassung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO nicht länger zu vereinbaren, da diese ausdrücklich auf die "Steuerstraftaten" abstellt und nicht mehr allgemein von der "Tat" spricht. Unter einer Steuerstraftat ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung zu verstehen, welche eindeutig dem materiellen Recht zuzuordnen ist.

 

Rz. 604

[Autor/Stand] Nach hier vertretener Ansicht ist der materiell-rechtliche Tatbegriff für die Bestimmung des Umfangs der Sperrwirkung maßgeblich, weil § 371 AO (als persönlicher Strafaufhebungsgrund) darüber entscheidet, ob und unter welchen Voraussetzungen der Stpfl. zu bestrafen ist[9]. Der Gegenansicht ist zwar zuzugestehen, dass eine "Einleitung" stets eine verfahrensrechtliche Handlung darstellt, d.h. eingeleitet wird ein Verfahren stets bzgl. eines einheitlichen historischen Geschehensablaufs. Dies hat jedoch nicht zwingend zur Folge, dass der prozessuale Tatbegriff anzuwenden ist. Vielmehr steht eindeutig die Frage der Strafbarkeit in Rede.

Von daher kann der Tatbegriff nur materiell-rechtlich verstanden werden. Ein Wertungswiderspruch ist auch nicht darin zu sehen, dass der Begriff der Tat bei den verjährungsunterbrechenden Vorschriften im allgemeinen Strafrecht (§ 78c StGB) prozessual aufgefasst wird[10]. Die Verjährung stellt nach überwiegender Auffassung ein Strafverfolgungshindernis dar, wenn auch mit einer gewissen materiell-rechtlichen "Einfärbung" (s. Rz. 559). Demgegenüber hat die Selbstanzeige eindeutig materiell-rechtlichen Charakter (s. Rz. 559).

 

Rz. 605

[Autor/Stand] Gemeint ist damit die "Straftat", also eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung. Dies wird durch die aktuelle Fassung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO auch ausdrücklich durch den Gesetzeswortlaut klargestellt, in dem von "Steuerstraftaten" die Rede ist. Betont werden muss, dass diesem Tatbegriff im Rahmen des § 371 Abs. 2...

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