Rz. 269

[Autor/Stand] Nach dem Gesetzeswortlaut ist straffrei, wer "... unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt". Insoweit kann fraglich sein, welche Behörde, ggf. welcher Amtsträger, zur Entgegennahme der Selbstanzeige zuständig ist.

Die Beantwortung dieser strittigen Frage entscheidet darüber, ob eine Selbstanzeige noch rechtzeitig erstattet worden ist und damit den Eintritt eines Ausschlussgrundes i.S.d. § 371 Abs. 2 AO hindert. Darauf kommt es hingegen nicht an, wenn die Selbstanzeige die Behörde bzw. den Amtsträger erreicht hat, noch bevor ein Ausschlussgrund i.S.d. § 371 Abs. 2 AO in Rede steht.

Vgl. zur Verfahrenspraxis Nr. 132 AStBV (St) 2020: Danach werden Selbstanzeigen, die als solche bezeichnet oder erkennbar sind, der BuStra des FA zugeleitet, ebenso wie andere Erklärungen, wenn Anhaltspunkte für eine schuldhafte Steuerverkürzung bestehen (s. AStBV Rz. 132).

a) "gegenüber der Finanzbehörde"

 

Rz. 270

[Autor/Stand] Welche Behörden als "Finanzbehörde" i.S.d. AO gelten, definiert § 6 Abs. 2 AO :

§ 6 Behörden, Finanzbehörden

(1) Behörde ist jede öffentliche Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.

(1a)–(1c) ...

(2) Finanzbehörden im Sinne dieses Gesetzes sind die folgenden im Gesetz über die Finanzverwaltung genannten Bundes- und Landesfinanzbehörden:

  1. das Bundesministerium der Finanzen und die für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden als oberste Behörden,
  2. das Bundeszentralamt für Steuern, das Informationstechnikzentrum Bund und die Generalzolldirektion als Bundesoberbehörden,
  3. Rechenzentren sowie Landesfinanzbehörden, denen durch eine Rechtsverordnung nach § 17 Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 des Finanzverwaltungsgesetzes die landesweite Zuständigkeit für Kassengeschäfte und das Erhebungsverfahren einschließlich der Vollstreckung übertragen worden ist, als Landesoberbehörden,
  4. die Oberfinanzdirektionen als Mittelbehörden,
  4a. die nach dem Finanzverwaltungsgesetz oder nach Landesrecht an Stelle einer Oberfinanzdirektion eingerichteten Landesfinanzbehörden,
  5. die Hauptzollämter einschließlich ihrer Dienststellen, die Zollfahndungsämter, die Finanzämter und die besonderen Landesfinanzbehörden als örtliche Behörden,
  6. Familienkassen,
  7. die zentrale Stelle im Sinne des § 81 des Einkommensteuergesetzes und
  8. die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (§ 40a Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes).
 

Rz. 271

[Autor/Stand] Diese Begriffsbestimmung gilt auch im Rahmen des § 371 Abs. 1 AO, denn die engere Definition des § 386 Abs. 1 Satz 2 AO gilt nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nur für das in diesem Abschnitt geregelte Strafverfahren[4]. Dies hat seinen Grund darin, dass nur bestimmten FinB strafverfahrensrechtliche Befugnisse zustehen sollen, wozu die Entgegennahme einer Selbstanzeige noch nicht gehört.

Umstritten ist allerdings, ob jede Selbstanzeige bei einer der in § 6 Abs. 2 AO bezeichneten Behörden abgegeben werden kann.

 

Rz. 272

[Autor/Stand] Nach früher überwiegender Meinung verschafft nur eine bei der für die Verwaltung der betreffenden Steuer sachlich und örtlich zuständigen FinB abgegebene Selbstanzeige Straffreiheit[6]. Diese Ansicht wird auch heute noch von Teilen der Literatur vertreten.[7]

 

Rz. 273

[Autor/Stand] Teils wurde noch weitergehend gefordert, dass die Anzeige bei der zuständigen FinB an Amtsstelle oder bei der zuständigen Veranlagungsstelle eingegangen sein muss, eine Abgabe gegenüber dem Außenprüfer also nicht genüge[9]. Zur Begründung wurde angeführt, dass – wie in Steuersachen üblich (z.B. bei Einlegung von Rechtsmitteln) – nur die für die Bearbeitung des Steuervorgangs zuständige Stelle gemeint sei. Roth vertritt zudem die Auffassung, dass ggf. mehrere Selbstanzeigen für unterschiedliche FÄ zu erstellen sind, sofern einzelne Steuerarten bei Spezial-FÄ zentralisiert sind (z.B. bei der Erbschaftsteuer). Die Selbstanzeige sei Steuerart-bezogen (Sparten-Selbstanzeige) ausgestaltet.[10]

 

Rz. 274

[Autor/Stand] Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Selbstanzeige bei der zuständigen Behörde eingehen muss, hatte aber bereits das RG zugelassen, wenn die Behörde zur Weiterleitung amtlich verpflichtet ist.

 

Beispiel 6

A hat bei dem Kauf eines Grundstücks Grunderwerbsteuern hinterzogen. Kurz bevor ein Verfahren gegen sie eingeleitet wird, erstattet sie Selbstanzeige bei dem für ihre Einkommensteuerveranlagung zuständigen FA Essen-Süd. In Wirklichkeit war die Verwaltung und Erhebung der Grunderwerbsteuer für sämtliche FA-Bezirke des Stadtbereiches Essen dem FA Essen-Ost übertragen worden.

Nach der in der älteren Rspr. (s. oben Rz. 272) vertretenen Meinung müsste der Selbstanzeige – da bei einer unzuständigen FinB erstattet – die strafbefreiende Wirkung versagt werden, wenn sie im ordnungsgemäßen Geschäftsgang beim FA Essen-Ost verspätet eintrifft. Anders wäre u.U. dann zu entscheiden, wenn das verspätete Eintreffen der Selbstanzeige darauf zurückzuführen...

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