Rz. 43

[Autor/Stand] Damit ist die ratio des § 371 AO von einer Vielzahl von Aspekten geprägt, die in ihrem Zusammenspiel die Sonderstellung der Selbstanzeige im Strafrechtssystem rechtfertigen.

Wie aber bereits ausgeführt, ist eine zweifelsfreie strafrechtssystematische Erklärung für die Selbstanzeigeregelung nicht möglich, m.E. wegen der – auch verfassungsmäßig anerkannten – Eigenständigkeit des § 371 AO auch nicht nötig.

Mit dem Wiedergutmachungsgedanken ist es schließlich nicht ganz in Einklang zu bringen, dass zum Teil – etwa bei fremdnützig hinterzogenen Steuern – die Gewährung der Straffreiheit nicht davon abhängt, dass Steuern und Zinsen nachgezahlt werden bzw. dass keine Gewinnabschöpfung (z.B. des Zinsvorteils) stattfindet.

Auch die kriminalpolitische Erwägung, § 371 AO ermögliche dem Steuersünder die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit, ist angesichts des Umstands, dass in der Praxis Auslöser für die Erstattung einer Selbstanzeige häufig auch die drohende Entdeckungsgefahr ist, von eher geringerer Bedeutung. Wobei nicht selten auch Fälle vorkommen, in denen eine fehlerhafte steuerliche Würdigung nachträglich von Beratern im Zusammenhang mit anderen Aufarbeitungen aufgedeckt wird oder Stpfl. auf anderem Wege von einer fehlerhaften Würdigung in der Vergangenheit erfahren. In diesen Fällen besteht keine Entdeckungsgefahr. Die Anzeige erfolgt vielmehr freiwillig. Wegen der mit Unsicherheiten behafteten Abgrenzung einer Berichtigung gem. § 153 AO und einer Selbstanzeige gem. § 371 AO, ist jedoch gerade in diesen Konstellationen die Sicherheit der Wirkung der Selbstanzeige von zentraler Bedeutung. Ein durchaus tragender Grund für das ungewöhnliche Mittel, zu dem das Steuerstrafrecht in § 371 AO greift, ist zudem in den kriminologisch schwierigen Bedingungen bei der Aufklärung von Steuerhinterziehungen zu sehen, die eine extrem hohe "Dunkelziffer" zur Folge haben.

 

Rz. 44

[Autor/Stand] Sicherlich im Vordergrund steht der finanzpolitische Aspekt der Vorschrift, durch die der Anreiz zur Offenlegung bislang verborgener Steuerquellen geschaffen werden soll.[3] Eine Rechtfertigung findet § 371 AO schließlich im Grundsatz der Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit. Wenn durch § 371 AO Steuersünder zur Begleichung ihrer längst fälligen Steuerschulden veranlasst werden, so wird dadurch nicht nur der Staat in die Lage versetzt, seine Aufgaben zu erfüllen[4], sondern zugleich auch der Ungerechtigkeit begegnet, die Steuerhinterziehungen für den ehrlichen Steuerzahler mit sich bringen. Die strafbefreiende Selbstanzeige ist daher nicht nur ein Privileg des Fiskus als Geschädigtem, sondern strahlt mittelbar auch auf den Steuerzahler aus. Vor diesem Hintergrund wäre denkbar und überlegenswert, eine ähnliche Regelung einer tätigen Reue auch im Bereich anderer Vermögensdelikte zu implementieren. Dies würde insb. "zu einer angemessenen Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts sowie zur Auflösung der Legitimationsprobleme der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht beitragen".[5]

 

Rz. 45

[Autor/Stand] Aber selbst wenn der fiskalische Zweck der Selbstanzeigevorschrift außer Frage steht, ist es zutreffend, die kriminalpolitische und strafrechtliche Komponente, wenn auch in festen Grenzen, in die Interpretation der Selbstanzeigevorschrift mit einzubeziehen. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass § 371 AO eine Norm des materiellen Strafrechts, nicht des Steuerrechts, ist. Deshalb können die im Besteuerungsverfahren geltenden Grundsätze bei der Norminterpretation keine Anwendung finden.

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[5] Habetha, NStZ 2020, 546, Anm. zu BGH v. 12.2.2020 – 2 StR 291/19.
[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021

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