Rz. 600

[Autor/Stand] Alle Tatbestände des § 370 Abs. 1 AO setzen vorsätzliches Handeln des Täters voraus (§ 15 StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO). Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich. Den insoweit bei den Vorläuferbestimmungen des § 370 AO bestehenden Meinungsstreit[2] hat der Gesetzgeber durch die Ersetzung der Formulierung "zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines anderen" durch die Worte "für sich oder einen anderen" beseitigt. Vorsatz bedeutet Wissen der äußeren Tatumstände einer Strafnorm und Wille zu ihrer Verwirklichung. Der Täter muss also wissen (die Vorstellung oder Kenntnis haben), dass er sämtliche Merkmale des objektiven Tatbestands verwirklicht, und muss dies zudem wollen. Der Vorsatz bei § 370 Abs. 1 AO bezieht sich damit auch auf die Steuererheblichkeit der unrichtigen oder unvollständigen Angaben, auf die Herbeiführung des Steuerverkürzungserfolgs und das Erlangen eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils. Insofern muss der Täter notwendig Kenntnisse der Steuerrechtslage haben (zum Irrtum s. Rz. 645 ff., 658 ff.).

"Demgegenüber gehört nach ständiger Rechtsprechung des BGH zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.1953 – 5 StR 342/53, BGHSt 5, 90, 91 f.; BGH, Urt. v. 5.3.1986 – 2 StR 666/85, wistra 1986, 174; BGH, Beschl. v. 19.5.1989 – 3 StR 590/88, BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 2; BGH, Beschl. v. 24.10.1990 – 3 StR 16/90, BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 4; BGH, Beschl. v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, ZWH 2012, 153 m. Anm. Adick = NStZ 2012, 160, 161 Rz. 21 f.)."[3].

Eine konkrete Vorstellung über die korrekte steuerrechtliche Einordnung des Sachverhalts ist hingegen nicht erforderlich[4].

 

Rz. 601

[Autor/Stand] Man unterscheidet drei Arten des Vorsatzes:

  • den direkten Vorsatz ersten Grades (absichtliches Handeln oder Unterlassen),
  • den direkten Vorsatz zweiten Grades (wissentliches Handeln oder Unterlassen)
  • und den bedingten Vorsatz (dolus eventualis, billigendes In-Kauf-Nehmen der Tatbestandsverwirklichung).

Da der Tatbestand keine Beschränkungen aufweist, kann § 370 AO durch sämtliche Vorsatzformen verwirklicht werden; zumindest muss also dolus eventualis gegeben sein[6]. Welche Vorsatzform vorliegt, kann für die Tatbestandserfüllung dahinstehen; sie ist aber bedeutsam für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 2 StGB) und nach Auffassung des BGH auch für die Berichtigungspflicht nach § 153 AO (s. Rz. 337).

Mittelbare Relevanz hat der Vorsatz bei den an eine vorsätzliche Steuerhinterziehung anknüpfenden steuerlichen Nebenfolgen (s. dazu Rz. 1134 ff.), wie z.B. der Hinterzieherhaftung (§ 71 AO), der Festsetzungsverjährungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO), der Ablaufhemmung (§ 171 Abs. 5 und 7 AO) oder der Festsetzung von Hinterziehungszinsen (§ 235 AO)[7]. Ist Vorsatz gegeben, fehlt es aber am Taterfolg, liegt nur Versuch vor, wenn der Täter unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt hat (s. dazu Rz. 690 ff.). Zum Irrtum s. Rz. 645 ff. Zur Problematik abweichender Rechtsauffassungen bei der Tathandlung s. Rz. 237 ff.

 

Rz. 602

[Autor/Stand] Rechtlich bedeutsam ist vor allem die Grenze zwischen (noch) vorsätzlichem, nach § 370 AO strafbarem, und (nur) fahrlässigem Handeln oder Unterlassen, welches allein in der gesteigerten Form der Leichtfertigkeit mit Geldbuße nach § 378 AO geahndet wird. Die Annahme bedingten Vorsatzes bedarf deshalb sorgfältiger Prüfung[9]. § 378 AO kommt dabei die Funktion eines Auffangtatbestandes bei nicht nachweisbarem Vorsatz zu[10]. Besondere Bedeutung kommt der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit nach der Neuregelung der Selbstanzeige (s. § 371 Rz. 14) wegen der unterschiedlichen Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO beim Vorsatzdelikt einerseits und bei leichtfertiger Tatbegehung nach § 378 Abs. 3 AO andererseits zu[11].

Im allgemeinen Strafrecht ist die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit umstritten (s. auch § 378 Rz. 55 ff.). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Streit fast ausschließlich bei den Tötungs- und Körperverletzungsdelikten geführt wird, so dass die dazu vertretenen unterschiedlichen Lösungsansätze nur eingeschränkt für das Steuerstrafrecht fruchtbar gemacht werden können.

 

Rz. 603

[Autor/Stand] Prozessual muss der Vorsatz aufgrund einer Gesamtschau der objektiven und subjektiven Tatumstände festgestellt werden[13], es sei denn, der Angeklagte räumt vorsätzliches Handeln ein. Formelhafte Hinweise des Gerichts auf Vorstellungen und Absichten des Angeklagten genügen ebenso wenig wie bloße Spekulationen[14]. Der Vorsatz ergibt sich nicht schon aus der Schilderung des äußeren Tatablaufs[15]. Besteht ein innerbetriebliches Kontrollsystem zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten, ist dies ggf. ein Indiz gegen das Vorliegen von Vorsatzes oder Leichtfertigkeit[16]. Ist der Angeklagte wegen Schwachsinns schuldunfähig i.S.d. § 20 StGB, ist eingehend zu begründen, dass er die Steuerrech...

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